Utopie und Dystopie

Das hässliche Universum

Europa aus dem Weltall gesehen.
© EyeEm / Bernt Ove Moss
Von Laura Naumann  · 28.09.2023
• Literatur • Etwas ist zu Ende gegangen. Noch wirbelt die Asche durch die Luft, steigt Rauch aus den Trümmerhaufen. „Alles muss brennen“, hatte Rosa gesagt, und die Welt war in Flammen aufgegangen, als hätte sie nur darauf gewartet.
Im Transitraum, bevor die Gegenwart sich formiert und die Zukunft beginnt, wird die Vergangenheit zu Grabe getragen. In rhythmisiertem, drängendem Duktus werden Figuren im Vorfeld der Zerstörung gezeichnet. Sie sind nicht auf Revolution aus, sie sind auf der Suche: Wie kann man richtig handeln, richtig leben in einem Dickicht aus Zwängen und Gegebenheiten?
Wie ein Fixpunkt taucht Rosa an ihrem Horizont auf. Über Nachrichtenschnipsel und YouTube-Mitschnitte verbreiten sich ihre Botschaften, werden verlinkt, geteilt, kommentiert. Endlich gibt es jemanden, der Haltung zeigt, eine Richtung vorgibt. Erst scheint alles noch logisch und machbar, kleine Schritte der Veränderung, hin zu einer besseren Welt. Doch dann passiert ein Anschlag, die Fronten werden unübersichtlich, die Wut steigt. Fast zärtlich wird die Welt in Brand gesteckt, als könne man sie so auf Null setzen und die Zukunft aus der Asche aufsteigen lassen.
Oszillierend zwischen Utopie und Dystopie, untersucht „Das hässliche Universum“ das Prinzip „Neubeginn“ und fängt dabei ein sehr heutiges Lebensgefühl ein.
Aus der Begründung der Jury der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste zur Auszeichnung als Hörspiel des Monats Dezember 2021:
„‚Unsere Vorstellungskraft ist unsere Waffe.‘ Rosa weiß, wie man vielsagende Botschaften in öffentlichkeitswirksame Likes verwandelt. In Laura Naumanns Hörspiel ist sie die Heilsbringerin im unübersichtlichen Universum digitaler Kommunikation. Dank ihr bekommt das Leben wieder einen Sinn: für die Mutter dreier Kinder, die sich sehnlichst eine neue Herausforderung wünscht. Für den besorgten Bürger, der in seiner Podcast-Reihe Lebenstipps gibt. Für den verliebten Nachbarn, den komplexe philosophische Fragen quälen und für die Tochter, deren Familie endlich eine gemeinsame Aufgabe eint. Rosa ist Visionärin und Influencerin, die mit ihrer authentischen Art überzeugende Videonachrichten kreiert, um die Welt zu rühren und schlussendlich ganz schön aufzurühren. ‚Alles muss brennen!‘ schallt es aus dem Lautsprecher. Ein Streichorchester setzt ein. So klingt großes Kino für die Ohren. Als Rosa zur flammenden Revolution (oder doch nur zum nächsten Prank?) aufruft, wird der Weltuntergang in poetisch surreale Töne getaucht. ‚Darf ich stellvertretend dich anzünden? Für 8.000 Jahre Patriarchat? Scherz! Nur ein Scherz!‘ heißt es an einer Stelle im Hörspiel, doch am Ende brennt die ganze Welt und das Spektakel wird mittels Livestream in die glühenden Wohnzimmer übertragen. Was bleibt ist ein flirrendes Gefühl der Uneindeutigkeit, die diese dystopische Geschichte durchzieht; steckt darin doch eine riesige Palette an aktuellen Themen – von Selbstoptimierungsfantasien, Sicherheits- und Vorurteilsdebatten bis hin zu Verschwörungstheorien ist alles dabei. Aber heute hängt sowieso alles mit allem zusammen und wer in diesem Hörspielkarussell nach abschließenden Antworten sucht, wird sich heillos darin verfangen. Eine starke Soundkulisse voll Pathos und Ironie unterteilt die losen Szenenfolgen über den digitalen Alltagswahnsinn in vielschichtige Hör-Räume. Nur der beherzte Einsatz von allerlei Streichinstrumenten hält dem schnellen Wechsel der Themen und Perspektiven einen akustischen Fixpunkt entgegen. Dazwischen wird mit Halleffekten, dramatischen Musikeinlagen, Geräuschsamples und allerlei Getöse gearbeitet. Nicht nur akustisch ist dieses Hörspiel beständig an der Kippe zur Überzeichnung inszeniert und kommt doch immer genau auf den Punkt. ‚Das hässliche Universum‘ ist eine gelungene Hörspielperformance und ein fröhlich beschwingtes Zeitrafferbild aktueller Mediendebatten.“

Die Dinge des Lebens
Ein Sommer mit Hörspielen und Dokus
Woche 13: P.S.

Das hässliche Universum
Von Laura Naumann
Regie: Julia Hölscher
Mit: Anja Herden, Zoe Hutmacher, Ulrich Noethen, Moritz Grove, Meriam Abbas, Pauline Gloger, David Ali Rashed
Komposition: Tobias Vethake
Ton und Technik: Andreas Stoffels, Christoph Richter
Dramaturgie: Julia Gabel und Johann Mittmann

Produktion: Deutschlandfunk Kultur 2021
Länge: 53'22

Laura Naumann, geboren 1989 in Leipzig, ist Autorin und Performerin. Sie studierte Kreatives Schreiben an der Universität Hildesheim und war Gründungsmitglied des Gametheaterkollektivs machina eX. Seit 2012 ist sie Teil des Theaterkollektivs Henrike Iglesias. Ihre Theaterstücke werden international aufgeführt.

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