Hörspiel des Monats Dezember 2025

NIEWIEDERGUT oder Darf jetzt wirklich ein Jude der König von Bayern sein

Philipp Auerbach (1906-1952), Präsident des Landesentschädigungsamtes, telefoniert in seinem Büro. Undatierte Aufnahme, vermutlich um das Jahr 1950.
Philipp Auerbach (1906-1952), Präsident des Landesentschädigungsamtes, telefoniert in seinem Büro © Jenö Kovacz / picture alliance / SZ Photo
von Dana von Suffrin |
Die Jury der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste benannte „NIEWIEDERGUT oder Darf jetzt wirklich ein Jude der König von Bayern sein“ zum Hörspiel des Monats Dezember 2025.

Die Begründung der Jury:

Das Ende des zweiten Weltkriegs in Deutschland. Die Befreiung. Kein Terror, keine Diktatur, keine Vernichtung, kein massenhaftes systematisches Morden mehr. Eine Zäsur. So wird es oft dargestellt. So stellen wir es uns mitunter vor. Aber nach den Mühen der Gebirge, kommen die Mühen der Ebenen, sagte Brecht 1949. Die Nachkriegszeit. Die Zeit nach dem Krieg. Frieden im Außen, aber innen? Noch Krieg? Wann zieht Frieden in die Köpfe ein? Wie lange dauert es, bis sich Einstellungen ändern? Bis sich Einsichten einstellen? Manche Haltung hat sich wohl nie geändert ...
Diesem merkwürdigen Zwischenzustand, dieser Zeit zwischen Noch und Schon, zwischen Krieg und Frieden, widmet sich das Hörspiel „Niewiedergut“.
Die Autorin Diana von Suffrin porträtiert darin einen Mann und mit ihm eine Zeit, springt elegant von einer Erzählebene in die nächste und erlaubt uns, die Zwischenräume selbst zu fantasieren. Da ist Philipp Auerbach, eine barocke, widersprüchliche Persönlichkeit. Jüdischer Überlebender. Er leitet das Bayrische Landesentschädigungsamt auf eine sehr eigene, sehr unbürokratische Art, die ihm zum Verhängnis werden wird. Als Jude hat man Opfer zu sein. Als Opfer hat man dankbar, schwach und untadelig zu sein. So in etwa. Und all dies ist Auerbach nicht. Er ist sinnlich, chaotisch, laut und etwas eitel. Darf der das? Offenbar nicht. Er wird Opfer einer Kampagne, angeklagt von einem ehemaligen NS-Justizbeamten wegen Veruntreuung und nimmt sich in der Haft das Leben. Kurz darauf wird er rehabilitiert. 
Das Hörspiel erkundet ein bisher noch wenig erforschtes Gebiet, das Zusammenleben von Opfern und Tätern in der deutschen Nachkriegszeit. Die Stimmung der Zeit und insbesondere der tägliche Ansturm auf das Landesentschädigungsamt, die Lebensgeschichten hinter jedem Fall werden nachvollziehbar. Die Figur Auerbachs wird zum sinnlichen Erlebnis, ein schweres Thema auf überraschend unterhaltsame Art und Weise erzählt. Was besonders schwierig ist und uns deshalb besonders gut gefällt.
Zwei lobende Erwähnungen will die Jury für diesen besonders starken Monat aussprechen:
Das Hörspiel-Oratorium „Imiona nurtu. Die Namen der Strömung“ ist ein Projekt, das seinesgleichen sucht. Eine eigene Form. Menschen aus ganz Europa sprechen die Namen und Geburtsdaten von in Auschwitz Ermordeten. Verwoben mit Lagergedichten des KZ Überlebenden Tadeusz Borowski, im Hintergrund der Wind der Häftlingsbaracken. Daraus entsteht ein Memento mori, das die Hörenden in eine fast meditative Stimmung gleiten lässt. Jeder Name ein Menschenleben. Manchmal blitzt eine Assoziation auf zu Geburtsjahr und -Ort. Was für ein Werk. Wir wollen es auf diesem Wege würdigen.
„Wo der Name wohnt“ ist eine gelungene Adaption des gleichnamigen Romans von Ricarda Messner, eine behutsame Reise durch die Familiengeschichte der Autorin. Die Eltern und ganz wichtig die Großeltern, die räumliche und emotionale Nähe zu diesen, der Familienalltag, der durch den Tod der Großmutter eine neue Bedeutung erhält.
Die Erzählerin erinnert, assoziiert und lässt über kunstvoll gesetzte Fragmente die Biografie einer Familie entstehen. Sie wiederholt, fügt hinzu, zweifelt, recherchiert. Alltag spielt eine wichtige Rolle. Der Einkauf, das Essen, die fremde Sprache, die Räume der Wohnung, die im Zentrum der Erzählung steht. Es wird eine Reise, die von einem Berliner Mietshaus zu einem Ghetto in Riga führt. Parallel dazu eine Reise durch die deutsche Bürokratie, die der Erzählerin das Annehmen des alten Familiennamens verweigert.
Die Jury und der gastgebende Sender 2025
Laila Stieler, Drehbuchautorin, Hörspielautorin, Dramaturgin und Filmproduzentin
Sebastian Krumbiegel, Musiker und Autor
Gastgebender Sender: MDR

Hörspiel des Monats Dezember 2025

NIEWIEDERGUT
oder
Darf jetzt wirklich ein Jude der König von Bayern sein
von Dana von Suffrin
Regie: Christiane Huber
Regieassistenz: Jakob Roth
Mit: Brigitte Hobmeier, André Jung, Steven Scharf, Timocin Ziegler, Judith Toth, Philipp Froissant, Karolina Lodyga, Jelena Kuljić, Vincent Sauer, Johanna Kappauf, Enik
Komposition: Enik (Dominik Schäfer)
Aufnahme & Mischung: Jan Piepenstock
Schnitt & Montage: Regine Elbers
Besetzung: Christina Fröhlich
Redaktion & Dramaturgie: Katja Huber
Produktion: BR 2025
Länge: 64‘06‘‘

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