Lyrischer Nachruf auf Friederike Mayröcker

HERZBEFELLT, ein Nachrufen

24:00 Minuten
Die Lyrikerin Friederike Mayröcker (1924-2021)  im Jahr 2002.
Die Lyrikerin Friederike Mayröcker (1924-2021) im Jahr 2002. © imago images/gezett
Von Frieda Paris · 05.06.2022
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Friederike Mayröcker starb im Juni 2021. Eine Autorin schreibt ihr nun einen Nachruf und erinnert sich an die große österreichische Schriftstellerin, die die Welt in Poesie verwandelte. Ein poetisches Hörspiel zu ihrem ersten Todestag.
„Eine schrieb, sie war für jeden etwas anderes. Einer schrieb, sie war wie eine Schwester für mich. Einer sagt, man solle sie in Ruhe lassen.“ Eine Autorin sitzt an ihrem Arbeitsplatz und überlegt. Behutsam nährt sie sich ihren eigenen Worten. Doch sie ist nicht allein, gemeinsam mit einer ihr einflüsternden Stimme schreibt sie einen Nachruf auf Friederike Mayröcker. Die vielfach ausgezeichnete Dichterin vereinigte auf ihre ganz eigene Weise Existentielles und Experimentelles in ihrer Kunst. So spricht und schreibt die Autorin im Hörspiel: „Ich war nie wortloser, als in ihrer Gegenwart. Bin Stoff gewesen, oft etwas Buntes, worauf sie anspielte. War Schmuck in ihrer Anwesenheit. Ab und zu in den Mantel geholfen. Ihre Ketten, Turnschuhe dazu. Während ich, war Blume vielleicht, eine Lilie, zur Lesung mitgebracht. Duftüberbordend im Lesungsraum. Wollte versinken, in Vorhangstoff, unsichtbare Tinte werden.“
Die Autorin Frieda Paris.
Die Autorin Frieda Paris.© Annabelle-Theresa Kuhm

Herzbefellt, ein Nachrufen
Von Frieda Paris
Mit: Lisa Hrdina und Marina Frenk
Ton und Technik: Martin Offik
Komposition und Regie: Ulrike Haage
Produktion: Deutschlandfunk Kultur 2022
Länge: 30'00

Anschließend:
Gefälle
Von Friederike Mayröcker

Frieda Paris, geboren 1986 in Ulm, lebt in Wien. Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Wien und Paris und Studium der Sprachkunst in Wien. 2016 START-Stipendiatin des Bundeskanzleramtes Wien. Schreibt Lyrik, Erzählungen und Hörspiele. Für Deutschlandfunk Kultur „Ruhepuls, Rom“ (2018).

Ulrike Haage, geboren in Kassel, arbeitet an der Schnittstelle von Jazz, Avantgarde, klassischer Musik und Literatur. Neben ihrer Arbeit als Komponistin, Autorin und Regisseurin von preisgekrönten Hörspielen, schreibt sie Filmmusik und ist als Solopianistin und Scriptautorin tätig. Für ihr Hörspiel Werk wird sie 2022 mit dem Günther-Eich-Preis ausgezeichnet. Sie lebt in Berlin. 

Kommentar zu HERZBEFELLT, ein Nachrufen
von Frieda Paris      
   
Es beginnt mit einem Kuckuck. Oder wie noch sei es möglich der Königin der Poesie [1], wie sie in einer Jubelschrift genannt wird, nachzurufen? Sollte man die Verstorbene nicht einfach sanft in Ruhe lassen? Und wie soll ich sie nennen?
FM, Fritzi? Ich nannte die Autorin bei ihrem Vornamen, Friederike, stolpere noch immer über meinen. Keinesfalls Frau Mayröcker, Frau Mayröcker. Ich hasse dieses >>Frau Mayröcker<<[2]. Stattdessen gebührt ihr, den ganzen Namen zu sagen oder singend:
Für Friederike Mayröcker
Aus meiner Feder Text mit Taube und Kuckuck. Kein Requiem, das wäre ein Übertritt, Liebenden vorbehalten (wenngleich ich mich im Leben so bezeichne), den Angehörigen, denen ich am Grab mein leises Beileid aussprach und an dieser Stelle nochmals, ein Innehalten
Herzbefelltes zwischen Bewunderung und Werkbefassung, immer hat mich Friederike Mayröckers Werk erfasst und versetzt, in Rausch und Schreiblust. In unseren Begegnungen lag etwas friedfertiges, Friederiken-innewohnend.
Was ich von Friederike Mayröckers Lektüre gelernt habe: als Autorin dem Material zu trauen, Benennung, zitathafte Montage, ein Netz aus Anrufungen weben, entgegen einer bloßen Narrativität und gleichzeitig entgegen dem Vorwurf Tagebuch zu schreiben. So entsteht auch durch Mayröckers Art der Übernahme fremder Elemente eine eigene Welt.[3]: Dass sich Zärtlichkeit und radikal nicht ausschließen müssen im Schreiben, schonungslos, verletzlich zum äußersten[4] einem öffentlichen Lieben[5] gleich.
Die Schöpferin jener poetischen Welten wird in großer Vielfalt vermisst, sie war für jeden etwas anderes.[6] Ihr Lächeln, dieses Lachen nämlich im Ohr, von dem nicht nur ich hingerissen glaubte: Dass es nie altere! Ihr zärtlicher Imperativ, briefgerichtet, ich solle immer weiterschreiben, dann würde ich im FIEBER bleiben.
Und ganz richtig, wir müssen uns anstrengen [7] Friederike Mayröcker WEITER und HINwendend zu lesen und zu verlegen[8]. Dem Tod der Dichter:innen müssen die Lesenden entschieden entgegen treten!
Friederike Mayröcker hat uns ein nobelpreiswürdiges Werk geschenkt - die Jury hat diese Chance vertan. Sie zu lesen bedeutet die Welt im nötigen TROST zu halten, eine der wichtigen Voraussetzungen für einen friedlichen Widerstand der Wörter.
Ruhe sanft liebe Friederike Mayröcker - Danke für jedes Wort - wünsche Dir WOLKENBÄNKCHEN
Für Arbeit, Austausch und Inspiration zu HERZBEFELLT danke ich Hedy Jank, der ich dieses Hörspiel widme, Ulrike Haage, Gerhild Steinbuch, Raoul Eisele sowie Christine Grimm. Edith Schreiber für die Genehmigung der Zitate aus dem unveröffentlichten Briefmaterial.
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[1] Hab den der die das. Der Königin der Poesie Friederike Mayröcker zum 90. Geburtstag 
Hg. Erika Kronabitter, Edition Art Science 2014
[2] Friederike Mayröcker. Die herrschenden Zustände. Bernhard Kraller (Hrsg.), Fotografien von ÖhnerKraller, Wespennest, S.24
[3] Ebd. Franz Schuh, S.5
[4] Ebd. Christa Wolf, S.89
[5] RE
[6] irgendwo auf facebook aufgelesen
[7] Vgl. Marcel Beyer, Trauerrede für Friederike Mayröcker, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/mit-haut-und-haar-im-leben-versunken-17395783.html
[8] lege an dieser Stelle Lesenden und Sammelnden die schwarz-silbrige Edition Lämmchens Biscuit ans Herz, herausgegeben von Daniela Seel, Büchergilde 2022