Erzählen gegen die Krise I

Zwischen Wissen und Handeln

Pottwal auf einer Hausfassade. Graffiti
Graffiti eines Pottwal an einer Fassade: Die Jagd auf Pottwale ist seit 1981 verboten. Hauptgefahr für die großen Säuger heute sind die riesigen Fischernetze, in denen sie sich verfangen und ertrinken. © IMAGO / CHROMORANGE / Martin Schröder
04.02.2024
Essayistische Vorträge und diskursive Gespräche darüber, warum das Wissen allein nicht zum Handeln führt. Thorsten Jantschek, Redakteur von Essay und Diskurs, lädt Experten ein, über neue Sichten auf die Wirklichkeit nachzudenken.

Erzählen vom Unvorstellbaren

Keynote am 8.3. um 18.00 Uhr von Jasmin Schreiber, Foyer
In unserer heutigen Welt gehören Klimawandel und Biodiversitätsverlust zu den besonders kritischen und beängstigenden Problemen, mit denen wir konfrontiert sind. Diese Phänomene zu verstehen, ist eine gewaltige Aufgabe. Literatur macht die „Katastrophe ohne Ereignis“ erfahrbar.
Erzählen ist eine uralte Kulturtechnik, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Menschheit zieht. Literatur, Musik, Radio und Kunst bieten hier einzigartige Möglichkeiten, die Dringlichkeit und Bedeutung dieser Themen zu vermitteln, die Kluft zwischen abstrakten wissenschaftlichen Daten und persönlichen menschlichen Erfahrungen zu überbrücken und das Unvorstellbare dann doch etwas greifbarer zu machen. Das Erzählen in diesen Formaten reduziert das Abstraktionslevel. Es ist ein Angebot, sich miteinander zu verbinden, Ängste und Sorgen zu teilen, aber auch Ideen und Lösungsansätze zu finden – um vielleicht doch rechtzeitig zu verstehen, sodass wir retten können, was noch zu retten ist.
Portrait einer jungen Frau mit dunklen lockigen Haaren. Es ist die Schriftstellerin und Biologin Jasmin Schreiber.
Die Schriftstellerin und Biologin Jasmin Schreiber© Jasmin Schreiber

Jasmin Schreiber ist Schriftstellerin und Biologin. Ihre Romane wie „Mariannengraben“ (2020) oder „Endling“ (2023) sind Bestseller geworden, ihr Sachbuch „Biodiversität“ (2022) führt in die aktuellen Fragen des Mensch-Natur-Verhältnisses ein. Als Biologin gilt ihr Interesse allen Organismen, die kleiner als eine Maus sind, zum Beispiel Insekten, Spinnen, Moosen oder Flechten. Sie veröffentlicht regelmäßig ihre Kolumne „Schreibers Naturarium“, ihr Buch unter diesem Titel ist 2023 zum „Wissensbuch des Jahres“ gekürt worden. Zudem hostet Jasmin Schreiber mit Lorenz Adlung den Biologie-Podcast „Bugtale.FM“.

Erzählen gegen die Krise – Von Fakten und Fiktionen

Panel am 8.3. um 18.30 Uhr, Moderation Thorsten Jantschek, Foyer
Kaum ein Tag vergeht, an dem uns nicht die Folgen und Auswirkungen des Klimawandels daran erinnern, dass wir unseren CO2 Abdruck verändern müssen, dass wir uns aktiv und solidarisch engagieren sollten. Und doch passiert viel zu wenig. 
Wissenschaftler warnen seit Jahren schon, die 1,5-Grad-Ziele haben sich auch schon herumgesprochen, Politikerinnen treffen sich mit NGOs und arbeiten Konzepte aus. Es herrscht längst kein Mangel an Wissen mehr. Aber vielleicht einer der Vermittlung. Weil der Klimawandel weniger offensichtlich ist als eine Katastrophe wie Reaktorunfall von Fukushima. Wie man mit Fakten und Fiktionen ein breites gesellschaftliches Bewusstsein stiften kann, darüber diskutiert Thorsten Jantschek mit Gästen zur Eröffnung des Kölner Kongresses.

Mit der Journalistin Ann-Kathrin Büüsker, dem Politikwissenschaftler Claus Leggewie, der Kulturwissenschaftlerin Birgit Schneider und der Schriftstellerin Jasmin Schreiber

Damit uns nicht die Wörter ausgehen – Auf der Suche nach Erzählformen für die Klimakrise

Vortrag von Birgit Schneider am 9.3. um 10.30 Uhr, PD Konferenzraum
Beim Sprechen über den Klimawandel geraten viele in eine Abwärtsspirale, an deren Ende ihnen die Worte ausgehen. Weil es die Gesellschaft bislang nicht geschafft hat, sich in Richtung von CO2-Neutralität zu transformieren – da also das Wissen allein nicht zu genug Handeln führte – hoffen viele, den Wandel über neue Narrative, also neue Sichten auf die Wirklichkeit anzuregen – vom Erzählen zum Handeln.
Denn Handlungen sind oft durch Erzählungen und Bilder geleitet. Gleichzeitig gilt, was der Schriftsteller Amitav Gosh sagt: „Die Klimakrise ist auch eine Krise der Kultur und deshalb eine der Imagination.“ Auch wenn die Folgen des Klimawandels sind nicht mehr zu übersehen sind und das Thema allgegenwärtig ist, fehlt uns das Vorstellungsvermögen dafür, was der Klimawandel bedeutet. Um den Mut aufzubringen, eine Welt im Wandel zu denken, braucht es neue Imaginationen und neue Geschichten.
Birgit Schneider bringt Perspektiven und Stimmen zusammen und eröffnet neue Denkräume für die vielen kulturellen Facetten des Klimawandels jenseits von globaler Durchschnittstemperatur oder Kipppunkten. Sie versucht Antworten auf die Frage zu finden, wie sich Menschen in den gemäßigten Breiten den Klimawandel vorstellen, welche Imaginationen und Geschichten sie dabei leiten. Sie stellt Perspektivwechsel, Widersprüche und auch ungewöhnliche Sichtweisen heraus, die unsere begrenzte Vorstellungskraft zu weiten vermögen. Denn um die Lücke zwischen Wissen und Handeln zu überwinden, macht es einen großen Unterschied, wie wir uns den Klimawandel erzählen.
Sendung Dlf Essay und Diskurs, Sonntag 24.3.2024, 9.30 Uhr
Portrait einer Frau mit halblangem, gewellten Haar und Brille. Es ist die Bild- und Medienwissenschaftlerin Birgit Schneider.
Bild- und Medienwissenschaftlerin Birgit Schneider© Iris Janke

Birgit Schneider ist Professorin für „Wissenskulturen und mediale Umgebungen“ an der Universität Potsdam. Im Zentrum ihrer Forschungen steht das Verhältnis von Ökologie und Medien. Bekannt geworden ist sie mit ihren Büchern „Klimabilder – Eine Genealogie globaler Bildpolitiken von Klima und Klimawandel (2018) und, jüngst, „Der Anfang einer neuen Welt. Wie wir uns vom Klimawandel erzählen, ohne zu verstummen“ (2023).

Mensch und Meer – Wie erzählt man von einer Katastrophe ohne Ereignis?

Gespräch mit Tanja Bogusz am 9.3. um 11:30 Uhr, PD Konferenzraum
Seefahrergeschichten, Sturmfluten, Handelswege, Expeditionen ins Unbekannte: Die Beziehung zwischen Mensch und Meer ist so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst. Kein Wunder: Das Meer war schon lange da, bevor der Mensch zu einem relevanten Faktor für die erdgeschichtliche Entwicklung wurde.
Spätestens seit der Debatte um das Anthropozän bewegt der menschliche Einfluss auf den Zustand der Weltmeere die Naturwissenschaften. Plastifizierung, Klimawandel, Schmelzen der Polarkappen und der Rückgang wichtiger mariner Arten fließen in naturwissenschaftliche Datenaufnahmen und daran anknüpfende Appelle zum Meeresschutz ein.
Weniger bekannt ist, dass sich in jüngster Zeit auch die Sozial- und Kulturwissenschaften eingehender mit dem Meer befassen. Unter dem Sammelbegriff der „Marine Social Sciences“ untersuchen sie gesellschaftliche Aspekte von Meer-Mensch-Beziehungen. Und so brechen Soziologinnen und Kulturwissenschaftler in Friesennerz und Gummistiefeln zu Meeresfahrten auf, angetrieben von der Vision einer „Soziologie des Meeres“ im Zeitalter des Anthropozäns.
Sendung Dlf Essay und Diskurs, Karfreitag 29.3.2024, 9.30 Uhr
Porträt einer Frau mit braunen Haaren und Brille. Es ist die Soziologin Tanja Bogusz.
Soziologin und Anthropologin Tanja Bogusz© privat

Tanja Bogusz forscht am Zentrum für nachhaltige Gesellschaftsforschung der Universität Hamburg im Projekt „Natur und Gesellschaft erfahren. Eine standortübergreifende Untersuchung der marinen und ethnographischen Feldforschung“. Dass die Meeresschnecke Joculator boguszae nach Tanja Bogusz benannt worden ist, zeigt unmittelbar, wie intensiv die Meeressoziologin Feldforschung betreibt. Denn Bogusz begleitete etwa Taxonomen des Pariser Naturkundemuseums 2012 auf eine meeresbiologische Expedition nach Papua-Neuguinea.

„Gimme Shelter“ - Die Ausweichquartiere des Menschen

Vortrag von Patricia Görg am 9.3. um 13:30 Uhr, PD Konferenzraum
Angesichts von mehr als acht Milliarden Menschen wird es zunehmend eng auf der Erde. Die Lebensräume von Menschen und Tieren wachsen zusammen. Und angesichts von Prognosen über die zunehmende Unwirtlichkeit der Erde blühen hier und da auch Utopien auf, die vorsehen, zur Not extreme Lebensräume zu kolonisieren.
Diese Ideen sind nicht neu. Schon in den Sechziger Jahren arbeiteten Pioniere wie Jacques-Yves Cousteau an Unterwasserhabitaten, einer seiner Filme trug den Titel „Welt ohne Sonne“. Und auch im All tat sich einiges – bis hin zum futuristischen Modulbau der ISS, die noch heute bewohnt über unseren Köpfen kreist.
Unterm Strich waren die Herausforderungen jedoch immer ernüchternd. Und erst recht nicht für viele Menschen gedacht. Das jedoch hält natürlich jemanden wie Elon Musk nicht davon ab, Siedlungen auf dem Mars anzukündigen. Was macht die Idee der menschlichen Ausweichquartiere so interessant?
Sendung Dlf Essay und Diskurs, Sonntag 19.05.2024, 9.30 Uhr
Porträt einer Frau mit Pagenschnitt und randloser Brille, es ist die Autorin Patricia Görg.
Schriftstellerin Patricia Görg© Renate von Mangoldt

Patricia Görg, geboren 1960 lebt als Schriftstellerin und Autorin fürs Radio in Berlin und ist mit Büchern wie u.a. „Glücksspagat“ (2000), „Handbuch der Erfolglosen“ (2012) oder „Glas. Eine Kunst“ (2013) sowie Hörspielen wie „Die Gesänge der Raumfahrer. Ein Fernlehrgang“ (2019, Dlf Kultur) bekannt geworden. 2019 erhielt sie den Italo-Svevo-Preis.

Anthropozän Ost – Wenn die Erde vom Klimawandel erzählt

Gespräch mit Elisabeth Heyne am 9.3. um 14:30 Uhr, PD Konferenzraum
Die meisten Analysen zum Anthropozän stützen sich auf westliche Kapitalismustheorien, aber es bleibt offen, welche lokal unterschiedlichen Ausprägungen sich hinter dem Großkonzept verbergen und welche Rolle dabei eigentlich Regionen einnehmen, die bis vor gut 30 Jahren noch gar nicht zu jenem „Westen“ gehörten.
Gerade Ostdeutschland bietet sich zur Erkundung anthropozäner Existenzweisen besonders an, weil es Schauplatz eines – für europäische Verhältnisse – Extrem-Extraktivismus war und ist, von Chemie- und Umweltkatastrophen bis zur postfossilen Transformation und dem politischen Systemwandel. Weil hier in kurzer Zeit und auf kleinem Raum ein rasanter ökologischer, politischer und gesellschaftlicher Wandel passiert ist, lässt sich daran Entscheidendes für die Mensch-Umwelt-Interaktionen der Gegenwart ablesen.
Insbesondere lässt sich das Ostdeutsche Anthropozän anhand einzelner Orte und ihrer Rohstoffextraktion und Stoffproduktion betrachten, das Ganze also nach Stoffen sortieren: Kohle, Uran, aber auch Erdöl und die Produktion exemplarischer synthetischer Materialien und Stoffe.
Sendung Dlf Essay und Diskurs, Sonntag 16.06.2024, 9.30 Uhr
Porträt einer Frau mit kurzen braunen Haaren, es ist die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Heyne.
Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Heyne© Maria Conradi

Als Literaturwissenschaftlerin leitet Elisabeth Heyne am Naturkundemuseum das Projekt „Natur der Dinge – Eine partizipative Sammlung des Anthropozäns“. Sie promovierte mit einer Arbeit zu „Wissenschaften dies Imaginären. Sammeln, Sehen, Lesen und Experimentieren bei Roger Caillois und Elias Canetti“ (2020) und beschäftigt sich mit der Amazonassehnsucht, dem Sammeln imaginärer Objekte sowie mit der Verarbeitung von Verletzbarkeit und Krankheit in der Gegenwartsliteratur.

Wo bleibt das Parlament der Dinge?

Vortrag von Claus Leggewie am 9.3. um 15:30 Uhr, PD Konferenzraum
Dass etwas getan werden muss, um den Klimawandel zu stoppen, ist klar. Dass dies schnell geschehen muss, ist auch klar. Aber mit welchen Mitteln? Die demokratischen Hebel sind nicht gerade erfolgreich, wenn es von der Theorie ins Handeln kommen soll.
Von Resolutionen auf internationale Klimakonferenzen, über komplizierte parlamentarische Aushandlungen bis hin zum zivilen Ungehorsam der Klimakleber: So richtig scheinen unsere Instrumente, um den Klimawandel zu begrenzen, nicht zu wirken. Derweil wird fleißig weiter CO2 emittiert. Und alle Welt fragt sich, ob eine "Öko-Diktatur", ein Klima-Leviathan noch abwendbar sein wird, um den Klimawandel einzudämmen.
Bruno Latour hatte einmal die Idee eines Parlaments der Dinge aufgeworfen (und nicht ausgeführt). Ein Gedankengebäude, in dem auch „non-„ oder „more-than-humans“ als Akteure mitwirken. Auch mitentscheiden? Wie sollte das gehen. Da brechen die meisten Überlegungen ab, weil es in einer parlamentarisch-repräsentativen Demokratie kaum denkbar ist, wie nicht menschliche Wesen oder zukünftige Wesen, wie die Generationen, die auf die letzte folgen werden, repräsentiert und damit inkludiert werden können.  Aber mal radikal gedacht: wie können dann die berechtigten Anliegen und Rechte der Natur anders als nur appellativ und symbolisch einbezogen werden?
Sendung Dlf Essay und Diskurs, Sonntag 31.3.2024, 9.30 Uhr
Porträt eines Mannes mit kurzen Haaren und Brille, es ist der Politikwissenschaftler Claus Leggewie.
Politikwissenschaftler Claus Leggewie© IMAGO / Oryk Haist

Claus Leggewie, Jahrgang 1950, ist Professor für Politikwissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Mitherausgeber der Blätter für deutsche und internationale Politik. Von 2007 bis 2017 war er Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen.

Die heiße Phase beginnt – Wie kann man durch Erzählen vom Denken der Krise ins Handeln kommen?

Panel am 9.3. um 17:30 Uhr, Moderation Thorsten Jantschek, Foyer
Wie verändert sich durch die Probleme, die durch den Klimawandel entstehen, das Verhältnis von Mensch und Natur? Für ein reines Bewahren der Umwelt ist es längst zu spät, zu deutlich haben sich die Spuren der Ressourcenausbeutung bereits in den Planeten eingeschrieben, zu wichtig sind technische Lösungen geworden. Auch wenn wir nicht die letzte Generation sind, müssen wir heutzutage ständig ausloten, ob das technisch Mögliche auch das natürlich Nötige ist. Dazu ist es wichtig, welche Bilder wir für die Handlungsoptionen finden, wie wir sie erzählen, um weder bei menschlicher Hybris noch bei tatenloser Demut zu verharren.

Es diskutieren die  Meeressoziologin Tanja Bogusz, die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Heyne und die Journalistin und Podcasterin Sarah Zerback.

Kurzfristige Änderungen im Programmablauf sind möglich.
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