Hörspiel über Selbstbild und Zuschreibung

Holzschnitzer – Wo ist denn die Sonne direkt über uns?

Grödner Holzschnitzerei von Willy Verginer.
Grödner Holzschnitzerei von Willy Verginer. © imago
Von Luise Voigt · 07.04.2022
Wie fragil Identität ist, zeigt eine Überlieferung aus dem frühen 15. Jahrhundert. In Florenz wird einem Holzschnitzer ein böser Streich gespielt: Man lässt ihn glauben, er sei ein anderer. Und alle machen mit.
Freunde geben vor, ihn nicht zu kennen, Passanten sprechen ihn mit fremdem Namen an. Stück für Stück wird der Holzschnitzer in eine fremde Biografie gezwungen. Die Stadt wird zur Kulisse, ihre Bewohner werden zu Akteuren in einem großen und unheimlichen Spiel. Der Initiator all dessen ist niemand anderes als Filippo Brunelleschi, der Erfinder der Zentralperspektive: ein frühmoderner Spezialist für das Erschaffen illusionistischer Räume.
Diese „Novelle vom dicken Holzschnitzer“ des frühen Brunelleschi-Biografen Antonio Manetti (1423–1497) setzt die Autorin des Hörspiels ins Verhältnis zu postmodernen Denkfiguren. So erforscht sie fest eingebettete Identitäten und Identitätskonstruktionen rund um das selten gewordene Handwerk des Holzschnitzers. Das Hörspiel erhält durch seine außergewöhnliche Schnitttechnik einen faszinierenden Rhythmus, der mittels Lücken und Wiederholungen bei der Hörerin ein aktives Mitvollziehen der Denkbewegung zu provozieren vermag.

Holzschnitzer – Wo ist denn die Sonne direkt über uns?
Von Luise Voigt
Regie: die Autorin
Mit: Pirmin Sedlmeir
Musik- und Sounddesign: Björn SC Deigner
Ton und Technik: Andreas Stoffels/Alexander Brennecke und Sonja Rebel
Produktion: DKultur 2016
Länge: 54'33

Luise Voigt, geboren 1985, ist Regisseurin, Autorin und Medienkünstlerin mit Wohnsitz in Berlin. Sie studierte Angewandte Theaterwissenschaften in Gießen, inszeniert u.a. am Theater Bonn, am Theater Heidelberg sowie am Staatstheater Oldenburg und arbeitet als Hörspielautorin/-regisseurin. Zu ihren Ehrungen gehört der Deutsche Hörbuchpreis in der Kategorie „Bestes Hörspiel“ und die Auszeichnung von „Die Jahre“ von Annie Ernaux (HR 2018) als Hörbuch des Jahres. Zuletzt: „Fünf Flure, eine Stunde“ (HR/SWR/Deutschlandfunk Kultur 2020).