Hörspiel des Monats März 2024

Nie! Nie! Nie!

Ein Büffel läuft vor Autos auf einer Straße im Yellowstone National Park entlang.
Eine Tarnung als Büffel? Gewitzt, aber gewagt... © imago images / VWPics / Jon G. Fuller via www.imago-images.de
Von Wilhelm Genazino · 01.06.2024
Ein humaneres Leben ist möglich, denkt sich Wilhelm Genazinos Heldin, und verwandelt sich kurzerhand in eine sensible Büffeldame.
Das Hörspiel wurde von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste in Frankfurt am Main zum Hörspiel des Monats März 2024 gekürt.
Begründung der Jury der Akademie der Darstellenden Künste:

Wer dem SWR-Hörstück "Nie! Nie! Nie!" von Wilhelm Genazino lauscht, fühlt sich für einen glücklichen Moment dem Blitzlichtgewitter rastloser Diskurse und Moden enthoben. Ein Stück, das sich dem Zeitgeist entzieht, klug, heiter, mit absurdem Humor und manchmal angenehm traurig. So treffen Figuren mit funkelnden Dialogen aufeinander, die selten ohne Ironie auskommen: Kind 1: "Oh, schau! Die Abendsonne versinkt hinter den Kaufhäusern!" Kind 2: "Wie du dich diesen Bildern hingeben kannst! Mir gelingt das immer seltener. Wenn ich Schönheit empfinde, dann weiß ich: Mir geht's im Augenblick nicht besonders gut." Nicht umsonst möchte die weibliche Protagonistin wohl ein "Büffel" und kein Mensch mehr sein. Anders als bei Kafka ist sie aber nicht im Tierkörper gefangen, sondern wählt ihn selbst aus als eine Fluchtmöglichkeit, als Befreiung. Sinnloser Hast entfliehen ist das Ziel, ideen- und gedankenlos werden. Heimlich wird die Büffelfrau jedoch von ominösen "Wachmännern" beobachtet: "Sollen wir eingreifen?", flüstert der eine. "Sie ist nicht gefährlich..." - "Wenn jemand Anstoß nehmen würde, könnten wir tätig werden.", sagt der andere Wachmann. - "Soll ich Anstoß nehmen?" In allen Rollen spricht der 84-jährige Peter Fricke. Dazu werden O-Ton-Ausschnitte des Autors aus einem Interview mit der "FAZ" und Gesprächsfetzen der Studioaufnahmen eingewoben, die sich anfühlen, als gehörten sie zu dem absurden Ganzen dazu.  Sind Wilhelm Genazinos Figuren nicht Lebensgehemmte wie viele von uns, die es satthaben, ständig zu reflektieren und doch nicht damit aufhören können? Ein bisschen Kafka, Beckett, Büchner schwingen mit, aber ohne deren Hoffnungslosigkeit. Es ist, als hätten die Sprechenden ihren Frieden mit der ungenügenden, fehlerhaften, wohl auch sinnlosen Existenz des Menschen gemacht, indem sie darüber lachten, statt zu weinen. Besänftigt werden sie durch die Betrachtung eines Kleiderbügels, denn anders als dieser fragt sich der Mensch: Wird er morgen noch sein? Mag sein, dass der Schöpfer dieser Zeilen die Welt als zerfetzt wahrgenommen hat. Aber ihre Wunden pflastert er mit feinsinnigem Humor und einer Melancholie, die Schwundstufen menschlicher Existenz ohne Larmoyanz sichtbar zu machen vermag. "Lächerlichkeit kann man nicht belauern. Sie ist sowieso immer da. Sie wartet nur darauf, von uns enthüllt zu werden." Und die Büffelfrau? Die spielt doch nur. Am Montag sitzt sie wieder am Schreibtisch, ist wie alle. Und ihr Irrsinn ist plausibel.

Die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste in Frankfurt am Main zeichnet jeden Monat ein Hörspiel aus den Produktionen der ARD-Anstalten aus. Die Entscheidung über das HÖRSPIEL DES MONATS trifft eine Jury, die jeweils für ein Jahr unter der Schirmherrschaft einer ARD-Anstalt arbeitet. Am Ende des Jahres wählt die Jury aus den 12 Hörspielen des Monats das HÖRSPIEL DES JAHRES.
Anschließend: Hauptsache Hörspiel - Folge 20 Mit Hanna Steger und Max von Malotki

Hörspiel des Monats März 2024
Nie! Nie! Nie!
Von Wilhelm Genazino
Mit Peter Fricke in allen Rollen sowie Wilhelm Genazino im Originalton aus einem Interview mit Lena Bopp für die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.01.2013
Ton und Technik: Christian Eickhoff, Fabian Vossler, Tanja Hiesch und Sabine Klunzinger
Regie: Ulrich Lampen Produktion: SWR 2024

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