Hörspiel: Weltraumdokumentarmusik

Spaceman ’85

Auf Flügen im Weltraum dokumentierte Reinhard Furrer seine Erfahrungen. Zu sehen: Satellitenbild zeigt Hurrikan Laura im Golf von Mexiko.
Auf Flügen im Weltraum dokumentierte Reinhard Furrer seine Erfahrungen. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS
Von Ammer & Console · 08.09.2022
1985 flog Reinhard Furrer als Wissenschaftsastronaut an Bord der US-Raumfähre „Challenger“ ins All. Vor und während des Fluges, sogar während des Starts sprach er seine Eindrücke in ein privates Diktaphon.
Am 30. Oktober 1985, Punkt 12 Uhr mittags, startet die „Challenger“ ins All. Der Flug dauert 7 Tage, 44 Minuten und 51 Sekunden. Das Hörspiel basiert auf den Originalton-Aufnahmen, die Furrer während des Fluges gemacht hat. Während der Startvorbereitungen gibt er sich noch professionell und abgeklärt. Er erläutert den Countdown, den zeitlichen Ablauf, die Vorbereitungen in Cape Canaveral. Je näher der Start rückt, desto mehr wird Furrer von der Kraft der Unternehmung ergriffen. Während des Takeoffs, den der Astronaut „live“ unter seinem Helm mitkommentiert, treibt Furrer eine ungeahnte Euphorie, die sich in der Schwerelosigkeit des Weltraums zu einem wahren Rausch der Gefühle steigert. Vom einzigartigen Erlebnis spürbar berührt, versucht er während der 112 Erdumrundungen wie in Trance und in geradezu psychedelischen Sprachbildern seine Eindrücke auf Tonband festzuhalten. Er meditiert mit belegter Stimme über das Spiel des Lichtes unten auf der Erde und die Macht und Tiefe der Unendlichkeit. Nie zuvor wurde der Weltraum so unmittelbar poetisch geschildert.
Ammer & Console schaffen für das Dokument von Furrers Weltraumflug einen künstlerischen Rahmen. Die Erzählungen vom All wechseln sich als dokumentarische „Rezitative“ mit „Weltraum-Arien“ ab: Songs (gesungen von der „Console“-Sängerin Miriam Osterrieder), die Furrers Formulierungen in Popsongs gießen. Aus dem Dokument eines Abenteuers wird ein musikalisches Epos.
Furrers Ritt ins All sollte der letzte Flug der „Challenger“ sein: Bei ihrem nächsten Start explodiert die Raumfähre nach 73 Sekunden. Reinhard Furrer selbst starb 10 Jahre später bei einem Flugzeugabsturz unter ungeklärten Umständen.
In der US-Raumfähre "Challenger" im Jahre 1985 (von lks.): Dr. Reinhard Furrer, Dr. Bonnie Dunbar, Dr. Guion Bluford, Dr. Wubbo Ockels und Dr. Ernst Messerschmid (beim Überschlag)
In der US-Raumfähre "Challenger" im Jahre 1985 (von lks.): Dr. Reinhard Furrer, Dr. Bonnie Dunbar, Dr. Guion Bluford, Dr. Wubbo Ockels und Dr. Ernst Messerschmid (beim Überschlag)© picture-alliance / dpa
Hörspiel des Monats April 2005, Begründung der Jury der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste:
„Radio sei – neben dem Popsong – der schnellste Weg zu den Gefühlen des Hörers und Intensität der letzte Luxus heutzutage. Die Worte stammen von Hörspielmacher Andreas Ammer, und tatsächlich gelingt es ihm (zusammen mit dem Musikerkollektiv Console) hier wieder einmal, in einer Wort/Musik-Komposition beide Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Das Thema ist klassisch: Ein Forscher (Wissenschaftsastronaut Reinhard Furrer) betritt Neuland (1985, die Erdumlaufbahn), führt ein akustisches Tagebuch auf seiner Reise mit der Raumfähre Challenger und macht seine Mitmenschen so zu potentiellen Ohrenzeugen. Dass Ammer diese O-Tonaufnahmen für seine Arbeit entdeckte, ist ein Glücksfall, das Thema per se spannend. Doch sind Furrers Erlebnisse, sein wissenschaftlich wie subjektiv geprägter Reisebericht nicht der eigentliche Inhalt des Hörstücks. Helden dieser Arbeit sind eher Sprache und Musik, und wie sie im freien Zusammenspiel eine neue innere Wirklichkeit entstehen lassen. Gemeinsam schaffen Ammer und Console einen emotionalen Bewusstseinstrack, in dem der Bericht des sich zur ‚professionellen‘ Sachlichkeit zwingenden Furrer mal rhythmisiert wird, mal durch Hall und Pausen erhöht oder unter die Musik versenkt. Die ebenso spannende wie entspannende Komposition übersetzt Furrers Eindrücke in einen nicht-konkreten, fast sprachlosen Bereich. So dass man mit diesem Hörspiel auf verschiedene Weise spielen kann: Man kann einfach so hineintauchen, beim Cocktail oder mit ihm um die Erde düsen. Man kann es aber auch mit eigenen Bildern anreichern und dabei, wenn einem danach ist, kleine anthropologische Studien treiben. Interessant etwa, wie der nüchterne Naturwissenschaftler vor der Größe des Gesehenen um Ausdruck ringt und ausgerechnet zu einer elementaren, minimalen Lyrik findet. In ihrer schlichten Ehrlichkeit werden diese Sätze zu Wahrheiten, die dann – von Miriam Osterrieder in der englischen Übersetzung gesungen – im ‚Kult‘ Allgemeingut werden. In solchen Momenten der Überwältigung sagt Furrer vielleicht einfach nur emphatisch: ‚Das ist so schön!‘ Dann erscheint einem der vom Bodenpersonal total überwachte, doch über den ‚Nebeln aus Licht‘ schwebende Mensch wie die heutige Verkörperung von Caspar David Friedrichs versunkenem ‚Wanderer über dem Felsenmeer‘.
Dass es Ammer und Console gelingt, dieses Sprach/Musik-Duett vom großen Gefühl ganz unpathetisch und mit schwebender Leichtigkeit zu gestalten, ist eine große Leistung.“

Spaceman ’85
Weltraumdokumentarmusik
Von Ammer & Console
Regie: Andreas Ammer und Martin Gretschmann
Mit: Reinhard Furrer, Axel Fischer, Miriam Osterrieder
Musik: Console
Ton: Mario Thaler
Produktion: WDR/RB 2005
Länge: 51'08

Andreas Ammer, geboren 1960, Journalist, Autor, Hörspielmacher. In seinen Hörspielen arbeitet er unter anderem mit Pop-Elementen, dokumentarischem Material und Live-Aufführungen. Den renommierten Hörspielpreis der Kriegsblinden erhielt er zweimal: für „Apocalypse Live“ (BR 1994) und für „Crashing Aeroplanes“ (WDR/DLR 2001). Gemeinsam mit FM Einheit wurde er 2019 mit dem Günter-Eich-Preis für sein Lebenswerk geehrt.

Martin Gretschmann, geboren 1973, ist Musiker. Er gründete die Band „Console“ und war Mitglied der Independent-Band „The Notwist“. Aktuell veröffentlicht er auch unter dem Namen „Acid Pauli“. Autor oder Komponist für zahlreiche Hörspielprojekte, zuletzt „Zusammen Walden“ (Andreas Ammer, Andreas Gerth, Florian Zimmer, Martin Gretschmann 2020).

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