Raphael Smarzoch im Dreierpack

Auf Spurensuche im Jetzt

Raphael Smarzoch
Raphael Smarzoch © Deutschlandradio/Bettina Fuerst-Fastre
Von Klaus Pilger · 29.09.2022
Freistil widmet sich im Oktober mit drei Sendungen dem Werk von Raphael Smarzoch, der in seinen Arbeiten die kleinen und großen Nischen der Gegenwart erkundet.
In seiner ersten Feature-Produktion für den Deutschlandfunk analysierte Raphael Smarzoch den Vampir. 2011 war das. Die Herrscher der Nacht machten zu dieser Zeit in den Medien seltsame Wandlungen durch, ernährten sich vegetarisch und tauschten ihre Grausamkeit gegen Liebe und Zuneigung ein. Im Feature ging es um die Frage, warum das mythenumwobene Nachtwesen mit seiner Vorliebe für den roten Lebenssaft einfach nicht totzukriegen ist. Diese Sendung markierte den Beginn einer fruchtbaren, mehrjährigen Zusammenarbeit, aus der die unterschiedlichsten Produktionen entstanden.
Stücke über Poltergeister und Quantenphysik, den Einsatz von künstlichen Intelligenzen in Kunst und Kultur oder den Umgang von Komponisten mit Musik und Schlaf. Auf den ersten Blick hängen diese Themen nicht miteinander zusammen. Doch wenn es so etwas wie einen roten Faden in Smarzochs Stücken gibt, dann ist das sein Interesse für nichtkanonisierte Gegenwartskulturen. Das klingt erst mal ein wenig kompliziert, ist aber eigentlich ganz einfach. Gemeint sind Phänomene, die im Begriff sind zu entstehen und die Einblicke in die DNA unserer Gesellschaft und Alltagskultur geben; Erscheinungen, die den Zeitgeist formen und prägen.
Raphael Smarzoch wurde 1981 in Bialystok in Polen geboren. Er studierte Musikwissenschaft, Anglistik und Kunstgeschichte in Köln und hat über den Komponisten Christian Wolff promoviert. Seit 2006 arbeitet er für die ARD und Deutschlandradio.
Spezialisierungen auf einzelne Themenfelder waren Smarzoch schon immer fremd, stattdessen geht es ihm in seiner Arbeit als Kulturjournalist darum, immer wieder neue Gegenwartsdiskurse zu erkennen und aufzugreifen, das Spektrum reicht von identitätspolitischen Kontroversen über den Einsatz von Internet-Memen in Wahlkämpfen bis zur Hexerei auf TikTok. Ein wichtiger Bestandteil seiner Feature-Sendungen ist stets das persönliche Erkunden spezifischer Habitate der jeweiligen Protagonisten, wie etwa das von Twilight-Fanclubs, Bootcamps für E-Sportler, der norwegischen Black- Metal-Szene oder der Produktionshintergründe von Computerspiel-Soundtracks. Die akustische Abbildung dieser Szenen und das eigene Eintauchen darin erlauben dem Radiopublikum besondere Anteilnahme und vermitteln Authentizität.
Mittlerweile arbeitet Raphael Smarzoch nicht mehr als freier Feature-Autor, sondern als Musikredakteur für Deutschlandfunk Kultur. Neue Feature-Produktionen wird es daher erstmal nicht geben. Seine alten Hörstücke schlummern in digitalen Hörfunkarchiven und werden in diesem Dreierpack wieder zum Leben erweckt. Sie sind einfach nicht totzukriege. So wie der Vampir.
Klänge des Grauens – Musik und Geräusch im Horrorfilm (2013), am 9. Oktober 2022 im Programm, untersucht wie Musik in gruseligen Filmen zum Einsatz kommt. Dissonanzen, Atonalität und klangliche Experimentierfreude sind die Markenzeichen des Horrorsounds, der sich nicht an konventionellen Hörerwartungen orientiert. Das Fremde, das Unheimliche, widersetzt sich gängigen Normen und klingt anders. Wie dieses Andere klingt, haben die meisten schon am eigenen Körper gespürt. Hier bekommt man seine Funktionsweise erklärt.
Bildschirmathleten – Vom Sport mit Maus und Tastatur (2015), am 16. Oktober 2022 im Programm, erzählt die Geschichte des eSports, der nicht auf dem Fußballplatz ausgetragen wird, sondern vor dem Computer, mit Maus und Tastatur. Die Szene ist riesig und hochprofessionell organisiert. Faszinierend ist, dass der eSport traditionelle Vorstellungen von Sport, Arbeit und Freizeit auf den Kopf stellt und neue pädagogische, philosophische und wirtschaftliche Ansätze im Umgang mit Games etabliert hat.
Das maximal Fremde – Von Menschen und Außerirdischen, (2014), wird am 23. Oktober 2022 gesendet. Jeder hat sie mal gesehen: Außerirdische. Die einen in Film und Fernsehen, die anderen im echten Leben, behaupten sie zumindest. Aliens sind aus der Popkultur nicht wegzudenken. Mal treten sie als kosmische Bedrohung in Erscheinung. Dann kommen sie in friedlicher Absicht, gerieren sich als Retter und Erlöser der Menschheit. Sie sind das maximal Fremde, das je nach gesellschaftlicher Stimmung ein politischer Gegner, ein Migrant oder ein Virus sein kann. Dass Außerirdische kein Hirngespinst sind, glauben seit der Neuzeit die Naturwissenschaften und die Philosophie: Selbstverständlich gibt es intelligentes Leben im All.