Reihe: Wirklichkeit im Radio

Bonga Boys. Global Village Stories

Eine Teeplantage in Bonga, Äthiopien, Afrika. Frauen pflücken den Tee und werfen die Blätter in einen geflochtenen Korb, der auf dem Rücken einer jungen Frau mit weißem Kopftuch ist.
Eine Teeplantage in Bonga, Äthiopien © picture alliance / robertharding
Von Martina Schulte  · 29.12.2018
Sie leben in Köln, Los Angeles, Bahrein oder Tel Aviv. Sie stammen aus Bonga in Äthiopien. Im dritten Teil unserer Reihe zur Geschichte des Features zeigt ein Stück aus dem Jahr 2009, wie mit der Globalisierung auch ein neuer Sound ins Radio kommt.
Sie leben in Köln, Los Angeles, Bahrein oder Tel Aviv. Als Tellerwäscher, Putzmann, Krankenpfleger oder Hausmädchen. Die Autorin dokumentiert die Lebenswelten junger Männer und Frauen aus dem äthiopischen Dorf Bonga, kontrastiert sie mit den oft geschönten Lebensbildern, die "nach Hause telefoniert" werden, und begleitet Rückkehrer in die Heimat. Aus dem Gespinst von Hoffnungen, Enttäuschungen, Lügen entsteht das Bild eines archaisch-globalen Dorfes, in dem viele traditionelle Werte nur noch zum Schein existieren.

Bonga Boys. Global Village Stories
Von Martina Schulte
Regie: Nikolai von Koslowski
Mit: David Shanko, Katharina Zapatka, Alexander Khuon, Brigitte Grothum und Martina Schulte
Ton: Jonas Bergler
Produktion: WDR/SR/SWR/RBB/Dlf 2009
Länge: 53'34

Den folgenden Essay finden Sie zusammen mit zahlreichen weiteren und vielen Extras auf dieser Webseite.
Dieses Feature vollbringt das Kunststück, gleichzeitig empathisch und völlig schonungslos zu sein. Von Anbeginn fliegt einem ein völlig neuer Sound um die Ohren, der in dem Unerhörten der erzählten Geschichte(n) seine Entsprechung findet.
Erzählt werden die Legenden, an denen jede und jeder der Protagonisten mitspinnt, weil man das eigene Scheitern oder mindestens Straucheln in der Diaspora nicht eingestehen will und kann. Vor sich selbst oder vor der Familie, die daheim auf positive Nachrichten und auf Geld wartet.
Das gesamte, riesige Konstrukt aus Halb- und Unwahrheiten, aus Stories, Schicksalen, Abhängigkeiten wird von einem einzigen Punkt aus entfaltet: Einem äthiopischen Freund der Autorin, der in Köln lebt. Von hier aus geht es in die USA, nach Äthiopien, nach Saudi-Arabien und immer wieder auch zurück nach Köln. Das ist aufregend, auch akustisch, denn die Gleichzeitigkeit des Hier-wie-dort-Seins, das Hin und Her zwischen den Welten bildet sich auch klanglich ab. Der Sound der globalen Glückssucher ist vielsprachig, immer etwas zu laut, bisweilen scheppernd und treibt das Geschehen unermüdlich voran. Auch dank schneller Schnitte und des energiestrotzenden Soundtracks, der das utopische Potenzial des Pop über einer Story entfaltet, die auch als bleischweres Sozialdrama hätte enden können.
Ein neuer Tonfall, der sich auch bei der Autorin findet, die ihren Protagonisten immer zugewandt bleibt und trotzdem kein Blatt vor den Mund nimmt.
2010 wurde „Bonga Boys“ mit dem Deutschen Radiopreis in der Kategorie „Beste Recherche“ ausgezeichnet. Das Feature ist das Ergebnis einer Langzeitrecherche, die über fünf Jahre gedauert und 150 Stunden Material hervorgebracht hat. Die Intensität des Stücks ist sicher auch auf diese extreme Verdichtung der Erzählung zurückzuführen.
Tanja Runow
Biographie
Martina Schulte hat eine Zeit lang vor allem Features gemacht, mittlerweile erzählt sie in vielen unterschiedlichen Formaten, unter anderem für Deutschlandfunk Nova, den WDR oder auf Videoplattformen wie Vimeo: Visuell und akustisch, online und offline. „Die Feature-Welt war mir auf Dauer zu eng“ sagt sie. Und „auch als Moderatorin kann ich Geschichten erzählen“. „Storyteller und Internetexpertin“ ist dann auch ihre selbstgewählte Berufsbezeichnung.
Ausgewählte Radiostücke
2006 Nach Hause telefonieren: Call Shop Stories
WDR/DLR/RBB/SR
2009. Bonga Boys.
WDR/RBB/NDR/SWR 2009
2014. Deutschland in Kleinanzeigen.
Redaktion: Thomas Nachtigall / WDR/SWR/RBB/DLF 2014