Hinter den Kulissen

Making-of: Der Ausflug der toten Mädchen

15:16 Minuten
Bibiana Beglau bei den Hörspielaufnahmen im Studio
Bibiana Beglau bei den Hörspielaufnahmen im Studio © Deutschlandradio/Karl-Heinz Stevens
Von Hanna Steger · 06.05.2022
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In ihrem neuesten Making-of begleitet Hanna Steger das Produktionsteam des Hörspiels "Der Ausflug der toten Mädchen", das Anna Panknin nach der gleichnamigen Erzählung von Anna Seghers realisiert hat.
Für mein nächstes Making-of habe ich einen Ausflug gemacht.
Anna Panknin: „Ja, du hast einen Ausflug gemacht.“
Was ein bisschen lustig ist, weil das Hörspiel, um das es hier geht „Der Ausflug der toten Mädchen heißt“. Ein Ausflug für den Ausflug also.
Anna Panknin: „Mit weniger Toten als in der Erzählung hoffentlich…“
Dass in dem Stück tote Mädchen vorkommen, ist nach dem Titel kein Spoiler mehr. Anna Panknin hat aus der Erzählung „Der Ausflug der toten Mädchen“ von Anna Seghers ein Hörspiel gemacht. Es ist ein Monologstück. Das bedeutet, es gibt in der Erzählung zwar viele Mädchen, wie der Titel vermuten lässt, doch im Hörspiel spricht nur eine einzige Schauspielerin.
Anna Panknin: „Es war ja von vorn herein klar, es ist eine Erzählung. Und dass man da natürlich dann szenisch arbeiten muss und mit Musiken und Klangwelten und Panorama dem entgegenwirken, dass es halt wie nur eine Erzählung wirkt, ist klar. Wir haben tatsächlich am Anfang mal überlegt, ob man mehrere Erzählerinnen nehmen könnte – zum Beispiel eine junge und eine ältere – aber ich glaube, das hätte den Effekt kaputt gemacht, dass es eben so ein Nebeneinander hat."
Wie Anna Panknin diesem um 1943 entstandenen Text neues Leben einhaucht und dabei zeigt, wie modern er eigentlich ist, habe ich in diesem Making-of begleitet. Mein Name ist Hanna Steger und mein Ausflug hat mich quicklebendig von Köln nach Berlin geführt.

An einem sonnigen Frühlingstag fahre ich nach Berlin Kreuzberg, ins Hörspielstudio P4.
Atmo Ankunft
Mir öffnet Jean, der Studiochef. In einem Hinterhof steht ein mit Efeu bewachsenes Backsteinhäuschen. Das ist der Ort, an dem heute die Magie passieren wird. Die Sprachaufnahmen. Anna Panknin wird gemeinsam mit der Schauspielerin Bibiana Beglau hier 3 Tage lang den Text für das Hörspiel aufnehmen. Die beiden sind aber noch nicht da - nur Jean.
Atmo: „Hereinspaziert!“
Jean Szymczak ist Toningenieur und das schon seit vielen Jahren. Er macht heute die Sprachaufnahmen und sorgt dafür, wie sie klingen.  Doch zuerst macht er Kaffee.
Atmo: „Der Kaffee blubbert schon, der Tag ist gerettet!“
Neben mir knackt gemütlich ein Kanonenofen. Während ich noch die riesigen Lautsprecher bestaune, klingelt es.
Atmo: Klingeln. Begrüßung „Die Protagonisten!“
Ich begrüße die Protagonisten. Bibiana Beglau ist die Hauptdarstellerin und einzige Darstellerin., Anna Panknin die Regisseurin. Außerdem ist noch Karl-Heinz Stevens mit dabei. Er ist ebenfalls Toningenieur und wird die Aufnahmen später in Köln zu einem Hörspiel zusammenbauen.

Aber der Reihe nach:
Anna Panknin: "Hast du alle Leute gebeten sich vorzustellen?"
Hanna: "Ja!"
Anna: "Also muss ich sagen: Hallo, ich bin Anna Panknin und ich habe die Regie bei diesem Hörspiel gemacht und die Bearbeitung der Erzählung von Anna Seghers 'Der Ausflug der toten Mädchen'."
„Die Bearbeitung“ bedeutet, dass Anna Panknin ein Hörspielskript gemacht hat aus dem Text von Anna Seghers.
Es ist eine autobiographische Erzählung, das persönlichste Werk von Anna Seghers. Die Erzählerin befindet sich - wie Seghers 1943 selbst - im mexikanischen Exil. Sie ist noch geschwächt von den schweren Folgen eines Autounfalls. In einer Art Schwebezustand zwischen Traum und Realität erinnert sie sich an einen fröhlichen Schulausflug aus dem Jahr 1912. Sie begegnet dort alten Klassenkameradinnen und ihren Schicksalen bis in den Zweiten Weltkrieg hinein.
Das sind die im Titel vorkommenden Mädchen. Zeitebenen und Erinnerungen verweben sich. Die Erzählerin ist zugleich allwissende Beobachterin und als Schulmädchen Netty Teil der Handlung. Netty Reiling – so hieß Anna Seghers als Mädchen, bevor sie sich ihren neuen Namen gab.
Die persönlichen Bezüge und autobiographischen Parallelen haben Anna Panknin fasziniert.
Anna Panknin: "Also, ich habe im Sommerurlaub letzten Jahres ein Buch gelesen von dem Volker Weidermann, „Brennendes Licht“, wo es um Anna Seghers Exil geht in Mexiko, wo sie 1941 war und vorher schon viele Jahre in Frankreich, sie war 1933 geflohen als Jüdin und Kommunistin ja doppelt bedroht und hat es 1941 dann geschafft nach Mexiko ins Exil zu gehen und war dort 2 Jahre, als sie diesen Autounfall hatte und als sie die Erzählung geschrieben hat. Und ich fand das einfach spannend, weil ich wusste, dass sie dort war, aber von dem Autounfall wusste ich nichts."
Atmo: Ausschnitt Studioaufnahmen
In Berlin wird inzwischen aufgenommen. Jetzt ist die Atmosphäre hochkonzentriert. Wenn Anna, Karl-Heinz und Jean sich Zahlen zuraunen, dann um sich Takenummern anzusagen, damit man später im Wust des stundenumfassenden Aufnahmematerials die schönsten Stellen wiederfindet.
Atmo Ausschnitt Studioaufnahmen geht weiter
Anna Panknin: „Es gibt glaub ich wenig Erzählungen oder Werke, wo so brillant sprachlich und formal so kühn in der Struktur konzipiert ist wie diese Erzählung. Also ich finde, es ist einfach unfassbar dicht und eine irre Kombination aus einer einfachen Sprache, die trotzdem total bildhaft ist, sowohl in der Brutalität der Realität, die schon verraten wird, als auch in der wunderschönen grünen Landschaftsbeschreibung dieses Schulausflugs. Also sowohl inhaltlich als auch formal ist es einfach eine geniale Hochzeit. Und wie komprimiert das zusammengeführt ist, ist einfach genial. Das habe ich auch gemerkt beim Kürzen. Das war ganz schwierig, das zu kürzen, weil alles so miteinander verwoben ist. Und man möchte eigentlich nicht viel davon wegnehmen."
Der dichte, kunstvoll verwobene Text ist auch für die Hauptdarstellerin eine Herausforderung.
Bibiana Beglau: „Ich bin Bibiana Beglau und ich bin Schauspielerin.“
Bibiana Beglaus Aufgabe als einzige Darstellerin in „Der Ausflug der toten Mädchen“ ist gewaltig. Sie und ihre Stimme tragen den Zuhörer durch das ganze Stück. Da wird akribisch an jedem Satz gearbeitet, auf jede kleine Nuance geachtet.
Atmo Aufnahme Bibiana Beglau
Bibiana Beglau: "Der Text erschlägt einen gar nicht, weil er geprägt ist von einer hohen Leichtigkeit. Es geht eben um eine Mädchenklasse und man kann sehr schön in diese kleinen Köpfe dieser zauberhaften Mädchen gucken, die dann natürlich gehen sie dann in die Nationalsozialistische Frauenschaft, also Biographien bewegen sich ja, ohne, dass wir es vorher wollen. Wir schreiben ja nicht erst das Tagebuch und fangen dann an zu leben, sondern das Tagebuch, so sag ich jetzt mal, entsteht während des Lebens, wir wissen nicht, was aus uns wird."
Anna Panknin: "Ich finde unter anderem deswegen toll, dass wir die Bibiana Beglau bekommen haben für die Rolle, weil immer wenn ich Anna Seghers gehört habe, habe ich automatisch an die ältere Anna Seghers gedacht oder hatte irgendwie so eine würdevolle ältere Dame vor Augen und hab dann beim Bearbeiten erst gemerkt, das ist ja eigentlich Quatsch! Die war, glaub ich, 42, 43, als sie das geschrieben hat.

Und ich finde schön, dass Bibiana eine ganz frische und jugendliche Stimme hat aber auch was Brüchiges in der Stimme hat, abgesehen davon, dass sie eine fantastische Schauspielerin ist und man sowohl die allwissende Erzählerin hat, die mit diesen 30 Jahren Rückblick aus der Exilgegenwart die Hälfte der Zeit erzählt und aber auch die vielleicht 14-jährige Netty Reiling, die plötzlich wieder in ihrer Schulmädchenrealität angekommen ist und beobachtend erzählt, während die andere kommentiert und schon verrät, was passiert, das - fand ich - passte da ganz gut!"
Atmo Aufnahmen
Obwohl sie kein Gegenüber hat, keinen Dialog, niemanden zum Anspielen, erweckt Bibiana Beglau die toten Mädchen mit ihrer Stimme zum Leben.
Bibiana Beglau: „Es macht einfach Spaß, mit diesen Mädchen mitzugehen und sich die vorzustellen und während ich das lese, weiß ich wie die aussehen, wie die riechen, wie die sich bewegen, und das weiß ich aber nur deshalb, weil die Anna Seghers das eben aufgeschrieben hat. Und darin bewege ich mich eigentlich. Also ich bewege mich in dem Stück Literatur, das mich dazu bewegt, am Tisch eigene Bilder zu haben. Und das versuche ich dann natürlich nicht in den Text zu legen oder im eigenen Gespiele meiner Gefühligkeit, sondern zu gucken, was hat die denn da aufgeschrieben, also wie tönt das."
Atmo Aufnahmen weiter
Bibiana Beglau: „Und dadurch kommen dann eben diese Bilder, also was steht da drin, wie sitzt das Mädchen auf der Schaukel, wie sieht das aus, was ist die Geschwindigkeit, die Bewegungsgeschwindigkeit einer jeden Person und je besser das Stück Literatur ist, umso mehr ruft das ab und das ist vielleicht bei guter Literatur der wahnsinnige Trick – je besser sie ist, umso klarer und deutlicher werden in unseren Köpfen die Bilder. Und das ist mein großer Spaß daran.“
Atmo Studio Brück
Die Aufnahmen in Berlin sind im Kasten. Mein Ausflug führt mich jetzt, eine Woche später, zurück nach Köln, um genau zu sein in den Vorort Köln-Brück. Dort wartet das nächste Studio – das von Karl-Heinz.
Karl-Heinz Stevens: „Ja, ich bin Karl-Heinz Stevens und ich hab hier ein kleines Studio, ein Post-Production-Studio.“
Zwar ohne Kanonenofen, aber nicht minder gemütlich, basteln hier Anna und Karl-Heinz die Hörspielfassung aus verschiedenen Elementen zusammen.
Atmo Arbeit Studio
Karl-Heinz Stevens: „Die Schauspielerin Bibiana Beglau hat uns ja verschiedene Varianten, verschiedene Fassungen angeboten, verschiedene Sprechhaltungen. Und das Material hab ich mitgenommen nach Köln und in Köln verarbeiten wir das jetzt hier montagemäßig, in dem man zum Beispiel den Sprachrhythmus strukturiert in Zusammenhang mit den Geräuschelementen und den Musikelementen und mischen die ganze Geschichte, ja.“
Atmo Studio
Jetzt gerade geht es um die Musik. Diese Musik ist für das Hörspiel Komponiert worden, und zwar von Peter Ehwald.
Anna Panknin: „Also, der Peter Ehwald ist ein ganz wunderbarer Jazzmusiker, Saxofonist und Komponist…“
Und spielt international in mehreren Bands und Trios und unterrichtet auch an der Hochschule für Musik in Weimar.
Anna Panknin: „…und ich schätze ihn sehr und dachte, dass das für diese spezielle Ästhetik, die ich mir bei diesem Stück gewünscht habe, sehr gut passen könnte, dass aus diesem Zusammenspiel von Traum und Wirklichkeit und diesem ständigen Perspektivwechsel zwischen verschiedenen Zeiten und Erlebniswelten die Musik eben eine wichtige Rolle hat, sich darin zu verorten und das zu bebildern aber auch eben manchmal zu brechen.“
Musik
Peter Ehwald: „Ich hatte eigentlich 2 grundlegende Ideen für den Ausflug der toten Mädchen…“
Das ist Peter Ehwald.
Peter Ehwald: „Die eine ist eine klangliche: Ich wollte nur Holzblasinstrumente verwenden…“
Also Klarinetten, Flöten, Saxofone.
Peter Ehwald: "…das mach ich sonst nicht. Also normalerweise würde ich verschiedenste Instrumente verwenden, auch digitale und die auch digital verfremden und hier wollte ich so eine Einheitlichkeit im Klang.“
Anna Panknin: „Natürlich ist es so, dass man nicht traurige Stellen mit trauriger Musik bebildert, sondern dass es eher der Gegensatz ist, der ja auch in der Erzählstruktur vorgegeben ist, dass wir diese heitere Ausflugsatmosphäre mit tanzenden und quatschenden, „piepsigen und elfigen“, wie Anna Seghers sagt, Mädchen haben und dann wirklich einen Satz später erfahren, wie sie im Keller durch Bombenangriffe ums Leben kommen. Und das wirkt fast stärker, wenn du da noch ein Echo von der Rheinmusik hast, als wenn man dann auf Tod und Zerstörung geht musikalisch und das hat der Peter sehr schön und zart rübergebracht, finde ich.“
Peter Ehwald: „Und die andere Idee war, dass ich in der Musik eine gewisse Offenheit suchte, weil die Mädchen, die dort zum Ausflug an den Rhein fahren, für die ist auch noch alles offen.“
Die Stelle, die Anna und Karl-Heinz grade mit Musik versehen haben, klingt fertig so:
Atmo Ausschnitt, diesmal mit Musik:
„Ida, die künftige Diakonissin, trottete pfeifend mit drolligen Tanzschritten zu uns herunter. Die runden Kulleraugen der kleinen Burschen und die schrägen, behaglichen des alten Kaffeeschlürfers von Lehrer, lagen erfreut auf ihrem Lockenkopf, um den ein Samtband gedreht war.“
Entstanden ist ein berührendes Hörspiel – manchmal zaubert es leicht und malerisch ein Schmunzeln ins Gesicht, manchmal führt es schonungslos ehrlich die Grausamkeit des Kriegs vor Augen. Die Aktualität, die es dadurch besitzt, muss man nicht erklären.
Anna Panknin: „Ihr Anlass, das zu schreiben, ist, sie hat immer gesagt „Wir schreiben nicht, um zu beschreiben, sondern wir schreiben, um etwas zu verändern. Oder sie hat auch im Bezug auf Kriege spezifisch gesagt, dass diese Realität der Krisenzeit, der Kriege usw. erstens ertragen werden muss, es muss ihr ins Auge gesehen und zweitens muss sie gestaltet werden. Und es ging ihr ganz viel darum, was man damit verändern kann. Spezifisch in dieser Erzählung, in dem auch unfair wirkenden und ungerecht wirkenden Nebeneinander im Tod, der gleichermaßen die Gerechten und die Ungerechten dieser Geschichte ereilt, war es ihr einfach auch wichtig, zu differenzieren und daran zu erinnern, wer diese Menschen waren -  in der Hoffnung, dadurch vielleicht eine bessere Gesellschaft gestalten zu können.“
„Der Ausflug der toten Mädchen“ von Anna Seghers. Bearbeitung und Regie: Anna Panknin. Gesprochen hat Bibiana Beglau, technisch realisiert haben das Ganze Jean Szymczak und Karl-Heinz Stevens. Die Musik komponierte Peter Ehwald. Redaktion: Sabine Küchler. Zu hören gibt es das Stück online unter hoerspielundfeature.de oder in der DLF-Audiothek. '
Mein Ausflug ist nun zu Ende. Ich verabschiede mich und freue mich auf’s nächste Making-of.

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