Gastkritik

Modezaren, Drogen und die Sünde des Eigentums

11:37 Minuten
Karl Lagerfeld 2012 in Paris auf einer Fashionshow für das Modehaus Chanel.
"KL – Gespräch über die Unsterblichkeit" ist eine Hommage an den verstorbenen Modeschöpfer © imago stock&people
Von Rafik Will · 01.10.2019
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Vom exzentrischen Modeschöpfer Karl Lagerfeld zur gelangweilten Kreuzberger Drogendealerin, von der "Queen of Sexploitation" Doris Wishman zum Multitalent Susanne Sachße - der Oktober wartet mit starken Hörspielfiguren auf.
"KL - Gespräch über die Unsterblichkeit"
Vier Ursendungen habe ich für den Oktober ausgewählt. Den Anfang macht eine Neuproduktion von Radio Bremen, der kleinsten Landesrundfunkanstalt in der ARD. Es handelt sich um eine Adaption des 2015 erschienen Buchs "KL – Gespräch über die Unsterblichkeit". Die Romanvorlage des Autors und Dramaturgen John von Düffel hat nun Christiane Ohaus für das Radio bearbeitet und als Regisseurin inszeniert.
Anlass für das Projekt war der Tod des Modemachers Karl Lagerfeld im Februar dieses Jahres. Und Karl Lagerfeld – oder kurz KL – tritt in dem Stück auch als Hauptfigur in Erscheinung. Obwohl von Düffel KL nie begegnet ist, gelingt es ihm, eine überzeugende Version des Designers zu entwerfen. Die spezielle radiofone Komponente im Hörspiel besteht darin, dass der bereits sehr nahe am echten Vorbild angelegte KL von Düffels vom Schauspieler und Comedian Michael Kessler gespielt wird.

"KL – Gespräch über die Unsterblichkeit" (Hörbeispiel)

Unnahbar und selbstsicher
Kessler gibt als KL eine Lebensweisheit nach der anderen von sich. Als Handlungsrahmen für dieses Feuerwerk dienen Kessler fiktive Interviews, die er als KL mit einem von Martin Engler gespielten, auch als Erzähler fungierenden, Philosophen führt. Der nähert sich KL mit einer gehörigen Portion Ehrfurcht, sieht er doch in ihm eine Art Kollegen.
Die treffsichere, leicht überspitzte Nachahmung von KL ist in gewisser Weise eine Hommage. KL wird hier genauso unnahbar und selbstsicher dargestellt, wie er sich zu Lebzeiten gezeigt hat. Und trotz der grundsätzlich sehr respektvollen Haltung des Stücks vermittelt sich etwas von der leichten Ironie der Behauptung, dass die Alltagsweisheiten eines Prominenten tiefgründige Einsichten in den Lauf der Welt darstellen.

KL läuft am 3. Oktober auf Bremen Zwei

"Dope!"
Kommen wir zum nächsten Stück. Bei der RBB-Produktion "Dope!" handelt es sich um eine Hörspielserie des Autors Tim Staffel, der auch Regie geführt hat. Das recherchebasierte Stück beschäftigt sich thematisch mit der Welt illegaler Drogen und verschreibungspflichtiger Medikamente.
Im Zentrum steht die 27-jährige Barkeeperin Vanessa in Berlin-Kreuzberg, die gerade ein Grundstudium der Pharmazie abgeschlossen hat und nicht weiß, was sie mit sich und ihrer Ambitionslosigkeit anfangen soll. So entscheidet sie sich, eine breite Palette an schwer erhältlichen Substanzen direkt an den Endkonsumenten zu bringen. Tatkräftige Hilfe in Planung und Ausführung leistet ihr ihr väterlich auftretender Chef, bei dem es sich um einen Drogendealer im Ruhestand handelt.

"Dope!" (Hörbeispiel)

Informativ, locker, empfehlenswert
Die Charaktere, denen man im Lauf von Vanessas Arbeit begegnet, stammen aus allen gesellschaftlichen Schichten und basieren auf Recherchen, die Tim Staffel gemeinsam mit dem Reporter Lucas Vogelsang angestellt hat.
"Dope!" ist spannend und informativ, aber nicht unbedingt mitreißend. Das liegt unter anderem daran, dass der dramaturgische Überbau vorrangig der Vermittlung von Faktenwissen dient. Der Charakter von Vanessa hat zwar Beziehungsprobleme und auch sonst hier und da Schwierigkeiten, wird aber nie vor wirkliche Herausforderungen gestellt und bietet so kaum die Möglichkeit, mit ihr mitzufiebern. Die Geschäfte laufen wie geschmiert. Zum anderen enthält sich die erzählerfreie Serie einer Kommentarebene, und stellt, um Authentizität bemüht, die Dinge so dar, wie sie vermeintlich sind. So wird man als Hörer zum unbeteiligten Voyeuristen. Immersiv wirkt in erster Linie der illusionistische Einsatz von Geräuschen und Klangeffekten, was auch durch einige Außenaufnahmen erreicht wird.
"Dope!" ist eine locker aufgebaute Hörspielserie, die sich an ein junges Publikum richtet und ambitioniert drogenpolitische Aufklärung betreibt. Empfehlenswert ist sie auf jeden Fall.

Die zehn Folgen des rund fünfstündigen Hörspiels lassen sich vom 26. September bis 2. Oktober in der ARD-Audiothek herunterladen. Die sechs Teile der Radioversion laufen ab dem 4. Oktober im Wochenabstand auf RBB Kultur um 22 Uhr.

"Satan Was a Lady"
Nun kommen wir zum neuen Stück des Filmkünstlers und Hörspielmachers Jörg Buttgereit. In dem beim WDR entstandenen Hörspiel "Satan Was a Lady" würdigt er das Lebenswerk der 2002 gestorbenen Filmemacherin Doris Wishman, der sogenannten "Queen of Sexploitation". Sie realisierte all ihre Filme selbst, darunter den titelgebenden Streifen "Satan Was a Lady". Einige der rund dreißig Streifen erschienen auch auf Deutsch.

"Satan Was a Lady" (Hörbeispiel)

Featureästhetik und eine brilliante Protagonistin
Das Hörspiel kopiert sehr gekonnt die Ästhetik eines Features. Es präsentiert sich als kunst- und liebevoll zusammengestellte Collage aus Filmtonspuren, Interviews und Filmkritiken. Auch wurde Material auf radiofone Weise neuvertont und ist täuschend echt in seiner reißerischen Inszenierung. Insgesamt ist Buttgereits Stück ein Plädoyer für liberale Kulturpolitik. Dass dieses Stück in der Lage ist, Empathie für den gemischten Charakter Wishmans hervorzurufen, verdankt sich Buttgereits Begeisterung und nicht zuletzt Gertie Honecks Können in ihrer Rolle als Doris Wishman.

"Satan Was a Lady" wird am 13. Oktober auf WDR 3 urgesendet und einen Tag später auf der WDR-Jugendwelle 1Live wiederholt.

"Original Sin - Der Gang der Frau im Sozialismus"
Und nun das letzte Stück in der Reihe der vorgestellten Oktoberursendungen: Es kommt vom Norddeutschen Rundfunk aus Hamburg und stammt aus der Feder der Schauspielerin und Autorin Susanne Sachße. Ihr Hörspiel trägt den Titel "Original Sin – Der Gang der Frau im Sozialismus" und ist eine Beschäftigung mit der Lebensgeschichte der eigenen Großmutter Luise Brand. Ursprünglich entstand sie als Filmskript. Und Filmästhetik prägt auch den Stil des Stücks.
Ins Radio kam das Projekt über eine weitere Zwischenstation. Als sich Sachße von dem Filmprojekt abgewandt hatte, performte sie mit der Band Xiu Xiu die Lebensgeschichte Luise Brands als Konzert in mehreren Songs. Darauf wurde dann der NDR-Redakteur Michael Becker aufmerksam und dieser veranlasste Sachße zu dem Hörspielprojekt.

"Original Sin - Der Gang der Frau im Sozialismus" (Hörbeispiel)

Susanne Sachße ist allgegenwärtig
Das Hörspiel greift die in Englisch gehaltenen Songs auf und erzählt in diesen, wie die wohlhabende Luise Brand zeitgleich zum Bau der Mauer selbst ein Haus baute. In dem lebte sie mit Mann, Liebhaber und zwei Töchtern. Die Bildung von Eigentum zu dieser speziellen Zeit in einem sozialistischen Land interpretiert Sachße als rebellischen Akt gegen das System, eine "Ursünde", die "Original Sin" des Titels. Außerdem geht es um Luise Brand als Erfüllerin und Gegenspielerin weiblicher Rollenbilder - in einer Person. Die in Filmästhetik vermittelten Szenen handeln vom Verkauf des großelterlichen Hauses durch Susanne Sachße selbst und ermöglichen als Rahmenhandlung für Sachße zugleich eine Annäherung wie eine Distanzierung von Großmutter und Vergangenheit. Dass Susanne Sachße als Autorin, Regisseurin, Performerin und Handlungsträgerin dominiert, ist sowohl Stärke als auch Schwäche des Stücks. Die monoperspektivische Anlage des Stücks ermöglicht es Sachße, ihre eigene Biografie zu kontextualisieren, lässt aber auch einen gesellschaftlichen Zusammenhang außen vor.

Das Hörspiel "Original Sin - Der Gang der Frau im Sozialismus" kommt am 16.10. im Rahmen des Themenschwerpunkts "30 Jahre Mauerfall" um 20 Uhr auf NDR Kultur.

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