Gastkritik

DDR-Thriller und ruhige Erzählungen vom Anderssein

08:00 Minuten
Die Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei SDP (seit 13.1.1990 SPD) Martin Gutzeit (l) und Ibrahim Böhme nehmen im Januar 1990 am Zentralen Runden Tisch im Konferenzgebäude des Ministerrates der DDR am Schloss Niederschönhausen (heute Schönhausen) in Berlin-Pankow teil.
Ibrahim Böhme (r.), Mitbegründer der SPD in der DDR, steht im Fokus des neuen Doberschütz-Krimis © picture alliance / dpa-Zentralbild / Peer Grimm
Von Dietrich Petzold |
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Im November dominieren die leisen Töne - Karen Köhlers "Wild ist scheu" erzählt eine ebenso ruhige wie spannende Geschichte im Wald, Irmgard Maenner begleitet in "Teure Schwalben" ihre demente Protagonistin ins Vergessen. Etwas rasanter geht es aber in Tom Peuckerts neuem Doberschütz-Krimi zu.
"Doberschütz und das Ende des Informanten"
Den Ausgangspunkt für die fiktive Erzählung "Doberschütz und das Ende des Informanten" von Tom Peuckert, produziert beim WDR unter der Regie von Thomas Leutzbach, bildet ein historisch authentischer Fall: Die skurrile Figur des Ibrahim Böhme, 1989 Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei in der DDR, 1990 auch deren Vorsitzender. Ein Mann, dessen – sagen wir mal: sehr eigenwillige – Selbstwahrnehmung blendend mit medialen Bedarfen der Wendezeit korrelierte. Die Erwartung, er könne der erste Ministerpräsident einer neuen Deutschen Demokratischen Republik werden, schien nicht aus der Luft gegriffen.
Zu den schillernden Farben seiner großenteils selbst erfundenen Biografie gesellten sich jedoch bald dunklere Töne, als Böhmes langjährige und intensive Spitzeltätigkeit für das Staatssicherheits-Ministerium der DDR aufgedeckt wurde. Der Stern verglühte so rasch, wie er am Medienhimmel erschienen war. 1992 aus der SPD ausgeschlossen, zog Manfred Otto Böhme, wie sein eigentlicher Name lautete, sich aus der Öffentlichkeit zurück und starb recht einsam 1999 in Neustrelitz.
War schon die reale Existenz des Ibrahim Böhme von wirren Fiktionen durchsetzt - dies alles hier aufzuzählen, sprengte den Rahmen; nutzen Sie bei Interesse eine Suchmaschine Ihrer Wahl -, so treibt Tom Peuckert das Verwirrspiel konsequent weiter ins Aberwitzige, aber beileibe nicht Abwegige.
Autor Tom Peuckert
Tom Peuckert legt den sechsten Teil seiner Doberschütz-Reihe vor© rbb
Seinen Ich-Erzähler, den Privatermittler Frank Doberschütz, setzt Peuckert auf die Spur des Böhme, der sich in eine psychiatrische Anstalt zurückgezogen hat, wo er…, ja, was sucht er dort eigentlich? Die erwartbaren Thriller-Elemente werden von der Regie (Thomas Leutzbach) und dem Sprecher-Team rasant in Szene gesetzt, ebenso beklemmend wie witzig.
Eine kleine Schwachstelle in dem sonst so geschickt gestrickten Gebilde: Die Motivation der Auftraggeberin für die Nachforschungen ist denn doch arg flach gehalten: Westdeutsche Dame ist verliebt in Böhme und will über dessen eventuelle Liebschaften informiert werden; da wäre doch noch einiges mehr herauszuholen. Wirklich beeindruckend jedoch ist die Drehung der Geschichte, als unser Ich-Erzähler Doberschütz in der Therapie, die er doch nur dienstlich, als Beobachter, aufsuchen wollte, auf eigene Vergangenheit und schuldhafte Verstrickung zurückgeworfen wird.
Sie hören "Doberschütz und das Ende des Informanten" am 8. November in WDR 3 und am 9. November in WDR 5
"Wild ist scheu"
In der SWR-Produktion "Wild ist scheu" von Karen Köhler besteht das gesamte musikalische Material (Komposition: Lars Rudolph) lediglich aus ein paar laienhaft naiv wirkenden, schlichten Klängen einer Laute. Und eben das ist hervorragend gesetzt! Ganz fein verwoben mit Naturklängen unter dem gesprochenen Wort als Inzidenzmusik im Text, hin und wieder kommen noch ein paar unprätentiöse Gesangstöne dazu. Oder rein musikalisch als Szenen-Trenner, ebenfalls gänzlich uneitel.
Und so ist das ganze Stück. Keinerlei angestrengte Dramatik, aber immense Spannung. Wir folgen einer jungen Frau in den Wald, wo sie auf einem Hochsitz für Jäger Quartier bezieht. Ihre Motivation kennen wir nicht, erst ganz allmählich erschließt sich uns aus ihren auf dem Hochsitz in ein Aufnahmegerät gesprochenen tagebuchartigen Sätzen ihre Geschichte.
Alles ruhig, eine Klanglandschaft aus Herbstnebel, von gelegentlichen Sonnenstrahlen durchbrochen. Dass uns hier keine lustige Jagd erwartet, wird schnell klar. Aber wo will das hinaus? Ein Ausstieg, aus gesellschaftlichen Konventionen, aus dem Konsum- und Arbeitsleben, aus dem Leben?
Die Autorin Karen Köhler in der Sendung Kölner Treff im WDR Fernsehen.
Karen Köhler schickt die Hörerinnen und Hörer mit einer jungen Frau in den Wald© Imago / Sven Simon
Es gelingt Leonie Benesch, dass die Figur der jungen Frau uns bereits sehr vertraut wird, lange bevor wir sie verstehen. Der gesamte Bogen der Erzählung wird ohne irgendwelche Effekthascherei, ohne ausgestellte Tragik, mit wunderbarer Gelassenheit in dauernder Spannung gehalten. Je mehr sich dem Hörer die Dramatik der Geschichte erschließt, desto leiser wird die Darstellung; ein ganz geduldig langsames Diminuendo, von großer Sensibilität und Zartheit, fern von jeglichem Kitsch. Die Regie von Kai Grehn vertraut hier ganz zu Recht der Qualität des Textes von Karen Köhler, der emotionalen Wirkung der Klänge und der überzeugenden, niemals larmoyanten Darstellung durch Leonie Benesch.
Sie hören "Wild ist scheu" am 17.11. Um 18:20 Uhr in SWR 2
"Teure Schwalben"
Auch in der Ursendung des Deutschlandfunk Kultur "Teure Schwalben" von Irmgard Maenner begegnen wir einer Frau, deren Beziehung zum gesellschaftlichen Umfeld nicht mehr den gängigen Normen entspricht. Dies liegt in diesem Falle allerdings nicht im Rahmen eigener Entscheidung, sondern beruht auf ihrer fortschreitenden Demenz. Wie es Irm Hermann gelingt, uns diese alte Frau Gunda als eine Person mit großer Würde und – teils unfreiwilligem, teils listigem – Witz nahezubringen, ist einfach hinreißend.
Irm Hermann spricht in unserem Studio die Gunda.
Mit großem Können erweckt Irm Hermann die Gunda zum Leben© Deutschlandradio / Sil Egger
In der Regie von Heike Tauch sind die Stimmen der Tochter als Erzählerin und anderer Personen raffiniert verschränkt mit einer klug und feinfühlig gebauten Musik und musikalisch eingesetztem Geräusch (Komponist: Janko Hanushevsky). Auch die von der Mutter im Malkurs des Pflegeheims selbstgezeichnete Elster bekommt eine eigene Stimme, die wohl nur die alte Frau selbst hört – wir, die Hörer aber dürfen uns auch über ihre Mitwirkung amüsieren.
Aus der Sicht der Tochter wird vor uns episodenhaft eine Lebensgeschichte aufgeblättert, die nicht die Katastrophen vergangener Jahrzehnte ausspart, aber immer von Haltung und Selbstbehauptung geprägt ist. Nun aber nisten die Hutschwalben in Gundas Kopf: Träume, Erinnerungen, Wünsche und Ängste. Und die Tochter, gespielt von Julika Jenkins, erzählt uns davon unaufgeregt, interessiert und respektvoll. Es muss halt nicht immer alles und jeder normal sein.
Sie hören "Teure Schwalben" am 20.11. um 22:03 Uhr in Deutschlandfunk Kultur
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