Tradition trifft Zeitgeist

Das Jodelfest

43:48 Minuten
Maria Kapelari (r.) und ihre Mitjodlerinnen nutzen jede Gelegenheit zum Jodeln.
Die Jodellust: Die Teilnehmerinnen des Jodelfests nutzen jede Gelegenheit zum Üben. © Deutschlandradio / Manuel Gogos
Von Manuel Gogos · 12.06.2020
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Jodeln, das ist was für Trachten tragende Almöhis? Stimmt so nicht. Seit eineinhalb Jahren kann man jodeln sogar studieren. Und: Traditionell gejodelt wird in vielen Teilen der Welt. In Europa ist Österreich der "Place to be" für Jodelfans. Unser Reporter hat dort ein mehrtägiges Jodelfestival besucht.
Hirten, Waldarbeiter und Köhler sollen die Stimmtechnik des Jodelns entwickelt haben, um damit weite Distanzen zu überbrücken. Aus ihren Jauchzern von Alm zu Alm, so eine Theorie, sei die Sangeskunst des Jodelns entstanden. Andere Musikwissenschaftler halten das für eine romantisierende Vorstellung. Wie der Musiker und Musikethnologe Hermann Fritz, der auf dem Jodelfest den Workshop "Jodeln und Tanz" betreut:
"Das stammt noch von Rousseau her, der hat sich mit dem Kuhreigen beschäftigt, und die Alpenbewohner sollten Vorbild sein für sein ‚Zurück zur Natur’."
Die Jodel-Entstehungstheorien
Es gibt viele solcher Entstehungstheorien: Das Jodeln sei aus dem Singen mit dem Echo entstanden, sagen die einen. Manche meinen, die Jodelsilben wären Überbleibsel einer Sprache, die die Schamanen sprachen. Neben der "Kuhruf-Hypothese" gibt es die Affekthypothese - gejodelt hätten zuerst Männer, denen beim Anblick einer schönen Frau die Stimme überschnappte. Bei der Morgenandacht in St. Gerold, wo das Jodelfest 2018 stattgefunden hat, stellt der Propst dann noch eine weitere Vermutung auf: Das Jodeln sei aus den feinen Kopfstimm-Ziselierungen der Gregorianik hervorgegangen.
Benediktinerpropstei St. Gerold, Vorarlberg in Österreich 
St. Gerold bietet ein idyllisches Panorama für das Jodelfest© imago / CHROMORANGE
Theorie hin oder her - es wird gejodelt
Jodelfans aus unterschiedlichen Ländern finden sich jedes Jahr zum Jodelfest an einem anderen Ort zusammen. 2018 war es die Propstei der Gemeinde St. Gerold im österreichischen Vorarlberg. Für manche hat das Festival bereits bei einer mehrtägigen Jodel-Wanderung zum Veranstaltungsort begonnen. Sie alle eint das Interesse am Jodeln. In seiner ursprünglichen, traditionellen Form, aber auch zukunftsweisend, mit elektronischen Klängen gemischt.
Im Workshop "Jodel-ABC" übt Autor Manuel Gogos zum ersten Mal selbst das Kippen aus der Kopf- in die Bruststimme, das für das Jodeln so typisch ist. Und der Schweizer Naturjodler aus dem Appenzell berührt ihn direkt, so melancholisch getragen ist der. Beim Jodelfest werden Vorurteile in Frage gestellt und über Bord geworfen. Hier wird gemacht statt theoretisiert.
Moderne Kunst
Jodeln kann auch ganz modern sein. Dreadlocks statt Trachtenjacke; Hipster, die in Berlin Kreuzberg gegen den Faschismus jodeln: Der "Sound of Heimat" ist vielstimmig. Die Jodler sind offen für alle möglichen Spielarten der Weltmusik. Im Jodelworkshop "Jodelfields" will Markus Prieth zusammen mit dem Soundkünstler Manuel Oberkalmsteiner das Spektrum des Jodelns erweitern. Sie experimentieren in Richtung Obertongesang, Improvisation, elektronische Beats. Nicht der Berg, sondern die Soundanlage gibt die Echos zurück.
Ein hipper Volksmusikant von heute: der Soundkünstler Manuel Oberkalmsteiner beim Jodelfest 2018 im österreichischen Vorarlberg.
Ein hipper Volksmusikant von heute: der Soundkünstler Manuel Oberkalmsteiner.© Deutschlandradio / Manuel Gogos
Die Jodel-Exoten
Am Abend sitzen dann alle zusammen im Wirtshaus. "Für mich ist das ein Jodelwoodstock", sagt die Gesangslehrerin Maria Kapelari. Und ihre Freundin Barbara erzählt die Geschichte eines amerikanischen Forschers, der ihr Jodeln aufgenommen hat, "wie wenn wir zu den afrikanischen Pygmäen gehen, um ihr Gesangel aufzunehmen."
Das große Abschlussfest
Gejodelt wird beim Jodelfest überall: Wo sie gehen und stehen probieren die Teilnehmenden die gelernten Jodler aus. Am späten Abend singen sie sogar noch die Propsteiglocke an. Am Abend des zweiten Tages wird dann das große Abschluss-Jodelfest veranstaltet. Die Workshop-Teilnehmer präsentieren das Gelernte und das Publikum tanzt ausgelassen den Zillertaler Hochzeitsmarsch. Denn das Jodelfest folgt dem Motto des Workshopleiters Aldi Nolder: "Lieber fünf Minuten schämen auf der Bühne, als drei Stunden üben."
Markus Prieth und seine WorkshopteilnehmerInnen beim Abschluss-Jodelfest im österreichischen Vorarlberg.
Markus Prieth und seine WorkshopteilnehmerInnen beim großen Abschluss-Jodelfest© Deutschlandradio / Manuel Gogos
Ein zwiegespaltenes Verhältnis
Im Anschluss an das Jodelfest hat Manuel Gogos mit Julio Mendivil gesprochen. Er ist Professor für Ethnomusikologie und lehrt Vergleichende Musikwissenschaft an der Universität Wien. Der Peruaner hat die deutsche und österreichische Volksmusik erforscht. Er ist der Meinung, dass die Instrumentalisierung der Volksmusik durch die Nazis das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Musik nachhaltig beschädigt hat. Bei seinen Feldforschungen war er aber auch positiv überrascht, wie herzlich ihn die Volksmusikfans in ihrer Mitte aufgenommen haben.
(Wiederholung vom 12.10.2018)
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