Serie "Innenansichten mit“ dem Fantasy-Schriftsteller James A. Sullivan

Mit Elfen und Magiern durchs Braunkohlerevier

43:42 Minuten
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
James A. Sullivan vor seiner Bücherwand im Wohnzimmer © Benedikt Schulz
Von Benedikt Schulz · 23.04.2021
Audio herunterladen
Wo andere einen Schaufelradbagger sehen, sieht James A. Sullivan einen riesigen Drachen. Der Fantasy-Autor ist in den USA geboren aber im Rheinischen Braunkohlerevier aufgewachsen. Sullivan führt durch diese karge Gegend, die seine Fantasie beflügelt, die er aber auch mit schmerzhaften Rassismuserfahrungen verbindet.
Zwischen riesigen ehemaligen und noch aktiven Tagebauen liegt die Stadt Kerpen mit knapp 70.000 Einwohnern. Hier lebt einer der erfolgreichsten Phantastikautoren Deutschlands: James A. Sullivan. Auch das Haus seiner Kindheit gibt es noch. Bei einem Besuch erinnert er sich daran, wie er mit anderen Kindern in der nahegelegenen Kiesgrube gespielt hat: "Das war lebensgefährlich!"
James A. Sullivan wurde 1974 in der Nähe von New York geboren und kam nach der Trennung seiner Eltern Ende der 70er-Jahre mit seiner Mutter nach Deutschland. Seine Tante lebte in Kerpen. "Das heißt: Wir sind nicht hergekommen, weil´s hier so wunderschön ist, wir mussten halt irgendwo hin." Und in Kerpen ist er bis heute geblieben.
Sullivan ist das Kind einer weißen Deutschen und eines Schwarzen US-Amerikaners und seit seiner Kindheit leidenschaftlicher Fantasy- und Science-Fiction-Fan. Noch während seines Studiums lernte Sullivan den Fantasy-Schriftsteller Bernhard Hennen kennen – der ihm eines Tages ein unwiderstehliches Angebot unterbreitete: "Er fragte mich, ob wir zusammen einen Elfenroman schreiben wollen. Der Zeitpunkt allerdings war unglücklich. Ich bereitete mich nämlich gerade auf meine Abschlussprüfungen vor. Und ich sagte: ‚Ruf mich in einer Stunde nochmal an.‘ Und ich habe mir dann überlegt: ‚Okay, wenn ich das nicht mache, werde ich mich mein ganzes Leben wahrscheinlich fragen, was passiert wäre, hätte ich das gemacht.‘" Also entschloss er sich, es mit der Schriftstellerei zu versuchen und der Erfolg gab ihm Recht.
James A. Sullivan sitzt an seine Schreibtisch und blickt in seinen Laptop. Er lächelt dabei. Um ihr herum liegen viele Bücher gestapelt. In dem Regal hinter ihm stehen weitere Bücher und Spiele.
In einer Ecke seines Schlafzimmers entstehen die erfolgreichen Phantastik-Romane von James A. Sullivan© Benedikt Schulz

Schaufelrad-Drachen und fliegende Landmassen

Bei der Besichtigung des ehemaligen Tagebaus Frechen erzählt der Schriftsteller, dass die Gegend seine kindliche Fantasie angeregt hat: Wo andere einen Schaufelradbagger im Tagebau gesehen haben, hat James A. Sullivan einen monströsen Drachen imaginiert. Und beim Blick in die weiten Braunkohlegruben fragte er sich: "Wo ist das Land hin? Ich wusste zwar, dass diese Bagger da jetzt dabei sind, das abzutragen, aber ich hatte das Gefühl, da wurde einfach ein Stück Land rausgeschnitten und ist irgendwohin transportiert worden praktisch per Luft. Ein richtiger Landbrocken der jetzt irgendwo in der Gegend rum schwebt, und das fand ich als Kind sehr inspirierend."
James A. Sullivan steht auf einem Weg umringt von Birken. Er schaut leicht lächelnd in die Kamera. Der Fluchtpunkt bildet sich in dem Zusammentreffen von Waldweg und Himmel.
James A. Sullivan kennt den ehemaligen Tagebau Frechen noch als aktive Kohlegrube© Benedikt Schulz
Doch sein Leben in Kerpen ist nicht nur von unbeschwerten Kindheitsfantasien geprägt, sondern auch von vielen Rassismuserfahrungen: "Das N-Wort hab ich so oft abgekriegt, das ist nicht mehr schön." Vom Vater, der im US-Militär arbeitete, lernte er, was es bedeutet, Schwarz zu sein in einer weiß geprägten Welt. "Er hat mir im Prinzip erklärt, was lynchen ist. Sehr früh muss ich sagen. Und das hat mir mit einem Schlag klargemacht, dass ich sehr aufpassen muss. Dass ich gucken muss, mit wem ich zusammen bin."

Es gibt keine unpolitische Phantastik

Diese Erfahrungen haben auch sein literarisches Werk beeinflusst. So handelt sein Roman "Nuramon" von einem Elfen, der alleine in der Welt der Menschen lebt. "Ich wollte über Fremdheitserfahrungen reden. Aber ich war mir nicht sicher, ob ich sagen wollte: Diese Figur da, Nuramon, das ist Jamie – das wollte ich nicht. Rassismus an sich hab ich selten angesprochen. Weil mir erst mal wichtig war, überhaupt für Sichtbarkeit zu sorgen."
Und seine Leserinnen und Leser verstehen diese Botschaft: "Ich habe von Schwarzen Personen und anderen Persons of Color gehört, die den Roman gelesen haben und sich in der Figur wiedergesehen haben. Wo ich dann denke: ‚Wow! Ich habe verfremdet, ich habe mich unsichtbar gemacht und eine andere Schwarze Person liest das und erkennt sich in der Figur wieder. Da war ich beeindruckt.‘" Ihm ist es aber wichtig zu betonen, dass auch scheinbar unpolitische Bücher eine politische Aussage haben, weil sie den bestehenden Status Quo nicht hinterfragen.

Bücher, die zum Nachdenken anregen

James A. Sullivan hat mit einem Tweet eher unabsichtlich den Begriff der "Progressive Phantastik" geprägt. "Es geht um das Hinterfragen von Traditionen, ums Voranschreiten", sagt der Schriftsteller und meint damit den Versuch, die diversen Perspektiven der Menschen auch in die Fantasy-Literatur einfließen zu lassen. Denn ein reflektierter Umgang mit Themen wie Sexismus, Rassismus, Diversität und Queerness ist in der Fantasy und Science-Fiction immer noch die Ausnahme.
James A. Sullivan meint: "Es werden einfach nur Dinge aufgegriffen, unreflektiert weitergetragen. Die Fantasy auch mit Elfen, Zwergen und allem Drum und Dran wäre komplett offen für alle möglichen Dinge. Für Vielfalt, für all das, was wir heute wertschätzen."
James A. Sullivan wurde von oben fotografiert und ist auf der linken Bildseite zu sehen. Er hält ein in rosa Farben gehaltenes, mystisch aussehendes Plattencover einer Heavy-Metal Band in den Händen. Das Cover nimmt den Mittelteil des Bildes ein.
Der Autor ist nicht nur Science-Fiction- sondern auch Heavy-Metal-Fan© Benedikt Schulz
Der Begriff der "Progressiven Phantastik" gefällt ihm auch deshalb so gut, weil er an Musikrichtungen wie "Progressive Rock" oder "Progressive Metal" erinnert. James A. Sullivan ist selbst bekennender Heavy-Metal-Fan. Außer seinen Platten steht im Wohnzimmer auch ein großes Bücherregal, das die gesamte Zimmerwand einnimmt. Hier findet sich neben seinem Debutroman "Die Elfen" auch die mittelalterliche Schrift "Parzival" von Wolfram von Eschenbach. Sullivan, der Anglistik, Germanistik und Allgemeine Sprachwissenschaft in Köln studiert hat, sagt, dass der Text aus dem 13. Jahrhundert wahrscheinlich den größten Einfluss auf sein Schreiben gehabt hätte: "Das war zum ersten Mal ein Autor für mich, der wusste, wie er mit Fiktion umgehen soll. Ich fand beeindruckend, wie er verschiedene Erzählebenen aufbaut. Auf denen er sich als Erzählerfigur positioniert und mit so Gestalten wie Frau Minne, Frau Aventiure, Frau Witze kommuniziert und über die Handlung redet." Und so verwundert es nicht, dass die drei Figuren es sogar bis in einen seiner Romane geschafft haben.
Für die Zukunft wünscht sich James A. Sullivan, dass sich noch mehr Phantastik-Autorinnen und Autoren mit der Frage der Repräsentation verschiedener Lebensweisen auseinandersetzten.
Mehr zum Thema