Schwangerschaftsabbruch

Ein Tabu und seine Folgen

43:50 Minuten
Eine junge Frau auf einem Steg blickt ins Wasser
Eine junge Frau auf einem Steg blickt ins Wasser © imago
Von Gaby Mayr |
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Der Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland einer der häufigsten gynäkologischen Eingriffe: Rund 100.000 Mal im Jahr lassen Frauen abtreiben. Die wenigsten sprechen darüber, kaum ein Arzt bekennt sich dazu, denn Abtreibung ist strafbewehrt. Hinter dem Tabu hat sich gefährliches Unwissen angestaut.
Das seit 1995 einheitliche Recht zum Schwangerschaftsabbruch in Ost und West war ein mühsam ausgehandelter Kompromiss, seitdem wurde nicht mehr darüber gesprochen. Anders als in Frankreich, Schweden oder Großbritannien zum Beispiel ist eine Abtreibung in Deutschland nach wie vor ein Straftatbestand - der unter bestimmten Bedingungen straffrei bleibt. Deshalb war - §219a Strafgesetzbuch - bis Februar 2019 auch der Hinweis strafbar, dass in einer Praxis Abbrüche durchgeführt werden. Hunderte Anzeigen nach §219a stammten von nur zwei Männern.
Im November 2017 wurde eine Ärztin wegen Verstoßes gegen diesen Paragrafen zu einer Geldstrafe verurteilt. Solche Urteile hat es immer wieder gegeben; in der Regel haben die Verurteilten gezahlt und geschwiegen. Diese Ärztin aber, Kristina Hänel, ist an die Öffentlichkeit gegangen. Seitdem gibt es wieder massive Proteste dagegen, wie Frauen in Deutschland behandelt werden, die einen Abbruch wollen. Aber auch selbsternannte Lebensschützer treten lauter auf und fordern noch strengere Gesetze.
Eine Frau betrachtet das Titelbild des Stern vom 06.06.1971, in dem sich 374 Frauen zu einem Schwangerschaftsabbruch bekennen.
Alice Schwarzers Stern-Kampagne „Wir haben abgetrieben“ löste 1971 eine kontroverse Debatte über Abtreibung in Deutschland aus© imago / epd
Die Debatte bringt die Folgen des Tabus ans Licht: Junge Frauen wissen heute über den Schwangerschaftsabbruch viel weniger als ihre Mütter. Erst wenn sie ungewollt schwanger werden, befassen sie sich damit. Das passiert selbst Medizinstudentinnen, denn in ihrer Ausbildung kommt das Thema kaum vor. Und die deutsche medizinische Forschung, in vielen Bereichen auf internationalen Spitzenplätzen, bildet in der Gynäkologie das Schlusslicht in Westeuropa.
Im Februar 2019 verabschiedete der Deutsche Bundestag eine Änderung von Paragraf 219a: Ärztinnen und Ärzte dürfen nun mitteilen, wenn in ihrer Praxis Abbrüche vorgenommen werden. Für weitergehende Informationen, etwa über die angewandte Methode, müssen sich die Frauen an andere Einrichtungen wenden. Kristina Hänel und weitere angeklagte Kolleginnen wollen notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof gehen, um ungewollt schwangere Frauen vollständig informieren zu dürfen.

Schwangerschaftsabbruch
Ein Tabu und seine Folgen
Von Gaby Mayr

Regie: Claudia Kattanek
Sprecher: Claudia Matschulla, Glenn Goltz
Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Kathrin Fidorra
Redaktion: Ulrike Bajohr
Produktion: Deutschlandfunk/SR 2018

Dr. Gaby Mayr, geboren in Köln, Studium der Wirtschaftswissenschaften. Freie Journalistin für Hörfunk und Print, mehrere Journalistenpreise. Arbeitsschwerpunkte sind "Afrika" und "Machtfragen".