Reihe: Dramaturginnen der ARD

Hannah Georgi: Hörspiel ist mehr als schöne Unterhaltung

09:30 Minuten
Auf dem Bild ist die Hörspieldramaturgin Hannah Georgi zu sehen, die lächelnd in die Kamera blickt.
Die Hörspieldramaturgin Hannah Georgi © Foto: Arne Strackholder
Von Raphael Smarzoch · 02.04.2019
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Spannungsbögen entwickeln, psychologisches Gespür und ein Instinkt für spannende Erzählstoffe – diese Fähigkeiten sollte ein Hörspieldramaturg mitbringen. Für Hannah Georgi, Dramaturgin beim WDR, muss ein Hörspiel das Heute verhandeln. Und, es sollte seine Hörerinnen bewegen.
Hannah Georgi - Fragebogen
Hannah Georgi: Ich bin Hörspiel-Dramaturgin beim WDR, arbeite auch als Hörspiel-Regisseurin und mache das seit 2012.
Frage: Können Sie sich noch an Ihr erstes Hörspiel erinnern, das Sie gehört haben?
Georgi: Das erste Erwachsenenhörspiel, daran kann ich mich tatsächlich erinnern. Das ist Tolkiens Hobbit in der WDR-Produktion von 1980 gewesen, das mich total fasziniert hat. Eine wahnsinnige, dichte Atmosphäre, und es ist tatsächlich noch mein Lieblingshörspiel.
Frage: Was fasziniert Sie am Hörspiel?
Georgi: Was mich wahnsinnig am Hörspiel fasziniert, ist die Intimität, die das Hören herstellt und dieses Zwiegespräch, das man mit den Stimmen eingeht und der Szenerie, dass das einfach zu einer sehr intensiven Erfahrung und zu einem sehr intensiven Aufbau von Fantasiewelten bei mir führt. Das ist auch so ein Moment, den ich immer wieder herstellen will.
Frage: Was macht ein zeitgenössisches Hörspiel aus?
Georgi: Ein Anschluss an ästhetische Diskurse oder auch inhaltliche Diskurse, die gerade aktuell sind. Was passiert bei uns in der Welt? Muss ich mich damit auseinandersetzen? Kann ich mich da einordnen? Kann ich mich dazu verhalten? Wie kann ich das reflektieren in einer akustischen Fassung?
Frage: Was muss ein gelungenes Hörspiel bei seinen Zuhörern auslösen?
Georgi: Zuallererst sollte es natürlich begeistern, ein gelungenes Hörspiel, oder mich abstoßen oder mich in irgendeiner Weise berühren, so dass ich da nicht wieder rausgehe wie ich reingegangen bin.
Frage: Was muss eine gute Hörspiel-Dramaturgin können?
Georgi: Eine gute Hörspiel Dramaturgin muss definitiv ein Gespür dafür zu haben, was ein Erzählpotenzial hat. Zu wissen, was sich akustisch erzählen lässt. Beraten, den Künstlern, mit denen man arbeitet, zur Seite zu stehen, die durch den Prozess zu leiten.
Frage: Welches Potenzial steckt im Hörspiel, das noch nicht ausgeschöpft wurde?
Georgi: Wir können 3D-Sound erfinden, in dem wir eintauchen immersiv, wir können in Audio-Games weitergehen. Ich glaube, da ist noch wahnsinnig viel. Und vielleicht poppt morgen das nächste Potenzial auf, von dem wir heute noch gar nichts wissen. Das ist, glaube ich, unerschöpflich.
Hannah Georgi, Hörspieldramaturgin
Georgi: Ich finde, es gibt immer unterschiedliche Herangehensweisen an Texte und auch an Autoren, weil man ja immer mit unterschiedlichen Künstlerpersönlichkeiten zu tun hat. Manche Autoren haben es sehr gerne, engmaschig betreut zu werden und kommen mit der ersten Idee, die vielleicht nur vier Sätze lang ist und sagen: Das Thema, das will ich machen. Wie mache ich das?
So beginnt die Zusammenarbeit mit dem niederländischen Hörspielmacher Lucas Derycke. Aus einer einfachen Idee, die der Autor auf einer Viertel-Seite skizziert, entwickelt Hannah Georgi mit ihm das Hörspiel "Screener". Es erzählt die Geschichte von Felix, der bei einem Unternehmen als Content-Reviewer zu arbeiten beginnt. Seine Aufgabe: Verstörende Videos und Bilder aus den sozialen Medien entfernen. Felix begegnet extremen Gewaltdarstellungen, die ihn zunehmend erschüttern und von seinem sozialen Umfeld entfremden.
Georgi: Das ist tatsächlich ausgegangen von dieser Viertel-Seite und dann einzelne Szenen, die er sich vorstellen konnte, was mit dem Felix, mit dem Protagonisten, passiert. Ich mache mir häufig dann Skizzen, in denen ich wirklich die einzelnen Szenen so als Bild aufmale, um den Überblick zu behalten. Das ist sicherlich eine Eigenart von mir, und dann schiebt man so ein bisschen hin und her und guckt, guck mal, hier an der Stelle habe ich aber das Gefühl da fehlt irgendwie noch etwas. Was könnte da noch hin? Und dann kommt man zu so einem Element wie diesem Staffellauf und merkt, das könnte gut als Strukturelement noch funktionieren.
Hörbeispiel "Screener"
"Screener" verzichtet darauf, die von Felix gesichteten Gräueltaten detailliert zu beschreiben. Die drastischen Eindrücke werden lediglich mit Schlagwörtern umschrieben. Diese dramaturgische Entscheidung verstärkt die Wirkung des Stücks. Die Zuhörer beginnen, eigene Bilder im Kopf zu entwickeln.
Georgi: Wenn der Protagonist das in diesem Fall tatsächlich beschrieben hätte, wäre dem auch etwas verloren gegangen, denn ein Spezifikum dieser Figur ist ja auch, dass er das selber gar nicht wirklich reflektieren kann, dass er da drin feststeckt, dass er das eigentlich versucht an sich abprallen zu lassen, aber das passiert nicht, sondern es sackt halt nach.
"Screener" setzt sich mit den Nebenwirkungen der Digitalisierung auseinander. Ein Thema, das nicht viele Hörspiele aufgreifen, obwohl das Internet mitsamt seinen unendlichen Informationsflüssen nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken ist. Smartphones, soziale Medien und digitale Lebenswelten sind in vielen Hörspiel-Produktionen noch immer eine Randerscheinung.
Georgi: Ich glaube schon, dass es total wichtig ist, dass das Hörspiel sich anschließt an diese aktuellen Diskurse. Das ist ja mit jeder Kunstform so. Es muss seine Berechtigung haben, weil es das Heute verhandelt. Es muss mich betreffen und das ist ganz wichtig. Es darf nicht in einer Mottenkiste versteckt bleiben.
Hannah Georgi studiert Theaterwissenschaften und Philosophie in Berlin und Performance-Studies in Hamburg. Zum Hörspiel gelangt sie durch ein Regie-Volontariat, das sie beim WDR absolviert, wo sie auch heute noch als Dramaturgin und Regisseurin arbeitet.
"Die schönen Momente sind, wo das Hörspiel lebendig wird"
Georgi: Das war tatsächlich so ein absoluter Quereinstieg, aber es war auch Liebe auf den ersten Blick von meiner Seite. Das erste Mal im Studio habe ich gedacht, das ist es, hier musst du hin. Das ist der Hammer! Hier gehen Welten auf! Hier kann man was machen! Hier ist technisch alles möglich!
Mit dem Autor Ulrich Bassenge entwickelt Hannah Georgi das Hörspiel "Rauschunterdrückung – Ein Aufnahmezustand". Es geht um eine Band ohne Namen, die nach sieben Jahren Pause wieder zusammenfindet, um gemeinsam ein Album mit mainstreamtauglichen Hits aufzunehmen. Schnell wird deutlich, dass dieses Menschenexperiment keinen glimpflichen Ausgang nimmt. Zu unterschiedlich sind die künstlerischen Vorstellungen der Musiker, der Sänger JJ verschwindet plötzlich und Studiobesitzer Stauffer behindert immer wieder die Aufnahmesession. Um dieses soziale Chaos authentisch darzustellen, war es unter dramaturgischen Gesichtspunkten essenziell, die Schauspieler improvisieren zu lassen, erläutert Hannah Georgi.
Georgi: Das ist ja auch das Reizvolle daran, also dass eigentlich das musikalische, die Zusammenarbeit, wie es läuft in solchen Probesituationen hier quasi übertragen wird auf die Sprache und die Handlung. Es setzt natürlich ein gewisses Vertrauen voraus und da wir eine sehr enge Zusammenarbeit hatten, gab es diesen Punkt auch. Die schönen Momente sind, wo das Hörspiel lebendig wird. Wenn die sich freilaufen, die Schauspieler. Ich bin immer recht glücklich, wenn das in meinen Dramaturgien passiert.
Hörbeispiel "Rauschunterdrückung – Ein Aufnahmezustand"
Deutlich ruhiger und ernster geht es in dem Hörspiel "Esperanto" zu. Die Frauen Hannah und Jasmin verbringen als freiwillige Helferinnen den Sommer in einem griechischen Flüchtlingscamp. Vor Ort merken sie, dass sie den dort gestrandeten Menschen nicht helfen können. "Esperanto", das erneut aus der Feder von Lucas Derycke stammt, thematisiert den Zusammenbruch von Utopien, auch am Beispiel der Weltsprache Esperanto, deren Gebrauch sich nie durchsetzen konnte. Auffällig ist die fragile akustische Machart des Hörspiels. Momente der Stille geben dem Stück eine melancholische Atmosphäre.
Georgi: Es gibt immer wieder musikalische Elemente, die zum Teil auch die Esperanto-Hymne verfremdet oder wiederholt und gelooped darstellen. Es gibt aber auch, und das führt vor allem zu diesem Gefühl der Trostlosigkeit, immer wieder so Leerläufe. Und die Stille ist tatsächlich bei Lucas Derycke auch ein wichtiges inszenatorisches Element, in der nur Camp-Atmosphäre zu hören ist.
Hörbeispiel "Esperanto"
"Esperanto" regt an, über die Schrecken von Flucht und Vertreibung nachzudenken und appelliert an die Wichtigkeit der Völkerverständigung. Dadurch gelingt es dem Stück, Missstände offenzulegen, die das heutige Europa kennzeichnen. Für Hannah Georgi ist das Hörspiel ein politisches Medium. Es geht nicht nur darum zu unterhalten und Schönheit zu erzeugen, sondern auch um einen pädagogischen Auftrag. Die fiktiven Radiowelten des Hörspiels sollen auch die echte Welt positiv verändern.
Georgi: Das Hörspiel ist eine gesellschaftlich wirksame Kraft. Wir bewegen uns in einem Massenmedium. Wir können Menschen erreichen. Das heißt, wir können auch Themen setzen, Diskussionen streuen, da irgendwie zu Diskursen führen. Wir können andere Welten bedienen, die aufgehen und die auch verändern.
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