Portrait des Hörspiel-Komponisten Dietrich Petzold

Sprachmusik

10:06 Minuten
Der Musiker Dietrich Petzold in seinem Studio
Dietrich Petzold in seinem Studio © Deutschlandradio/J Henry Fair
Von Nora Bauer · 30.03.2021
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Für Dietrich Petzold ist in seinen Hörspielkompositionen vor allem der Klang der Worte wichtig, diese 'Sprachmusik' inspiriert ihn zur instrumentalen Gestaltung. Nora Bauer über den Tonkünstler, der mit seinen erfundenen Instrumenten Geräusche erzeugt, die Gegenstände oder Ereignisse hörbar werden lassen.
Ausschnitt Musik Dokumentarfilms Berlin Marheineckeplatz
Dietrich Petzold, geboren 1954 in Bad Berka und aufgewachsen in Eisenach, lebt heute in Berlin. Er komponiert nicht nur für das Hörspiel, sondern auch für Film und Theater. Im Abspann des Dokumentarfilms Berlin Marheineckeplatz ist das akustische Durcheinander einer Großstadt-Straßenecke deutlich wahrnehmbar.
Dietrich Petzold: "Ich brauche einen Auftrag, um mich einer Sache zu stellen. Das ist unter anderem natürlich auch eine wirtschaftliche Frage, aber das ist nicht das Primäre. Wenn mich jemand bittet, kannst du mal das und das machen, und es gehört in einen Bereich, der mich ästhetisch interessiert, vielleicht sogar begeistert und der mit dem, was ich an klanglichen Möglichkeiten und Vorstellungen habe, kompatibel ist, na, dann stürze ich mich darauf."
Ausschnitt Musik
Als Dietrich Petzold fünf Jahre alt war, entschieden die Eltern, das Kind sollte ein Instrument lernen.
Dietrich Petzold: "Damals haben wir noch in Bad Berka gewohnt, der Unterricht war dann in Weimar. Ich kriegte einen Lehrer von der Spezialschule Belvedere, nachdem ein Prof sich mich angeguckt hatte, oder angehört."
Das Musikgymnasium Schloss Belvedere war zu Zeiten der ehemaligen DDR und ist bis heute ein staatliches Spezialgymnasium mit Internat in Weimar. Musikalisch hochbegabte Kinder und Jugendliche werden dort ab der 5. Klasse unterrichtet.
Dietrich Petzold: "Mein Vater war Kirchenmusiker und Dozent für Komposition und ich bin natürlich im Wesentlichen aufgewachsen mit der großen Sakralmusik. Ich bedaure es, dass mir damals, der Ausbildung an der Geige wegen, da hat man dann Klavier erst mal weggelassen. Dass ich nie eine Klavierausbildung hatte."
Ausschnitt Musik
Seine Geige führte Dietrich Petzold als Life-Musiker zunächst zum Jazz.
Dietrich Petzold: "Einerseits weiß ich gar nicht, ob die Merkwürdigkeit, dass ich in einer Jazz-Band gelandet bin, ob das mit einem anderen Instrument passiert wäre. Weil mein musikalischer Hintergrund ein anderer ist, als bei denen, die aus der Pop- und Rockmusik kamen. Insofern hatte ich eine bestimmte Spezifik in der Spielweise. Dafür hatte ich durchaus manche Mängel in der Jazz-Stilistik, da habe ich lange Zeit dran arbeiten müssen, mich da frei zu machen. Nun war in der DDR Jazz die große Kultur des Widerstands. Also er wurde geadelt zur Kammermusik. Bei uns war der Übergang von modernem Jazz, auch Free-Jazz zur zeitgenössischen Musik viel näher. Mit der Wende bekam der Jazz wieder seine alte Funktion, nämlich als Unterhaltungsmusik. Und das war für mich als Geiger weniger interessant."
Aufträge kamen schon früh aus dem Schauspiel wie dem Staatstheater Cottbus, wo Dietrich Petzold intensive Erfahrungen sammelte im Umgang mit Musik und Sprache. Aber sein eigentliches Feld wurde das Zusammenspiel mit anderen Musikern.
Dietrich Petzold: "Damit führte nach der Wende für mich der Weg viel mehr in den Bereich der … freien Improvisation, die mit der zeitgenössischen Kammermusik zu tun hat, … in der sogenannten 'Echtzeit-Musik'-Szene."
Bis heute eine Inspirationsquelle für seine Kompositionen.
Dietrich Petzold: "Ich nehme da eine Unmenge von Einflüssen von anderen Leuten auf, von Idee und vor allen Dingen von sensibler Spielweise, denn das ist in der völlig freien Improvisation der relevanteste Punkt wahrscheinlich."
Ausschnitt Musik Bebung
Bebung entstand 2020 als Stück für einen Musiker mit Zuspiel für das Intersonanzen-Festival Neuer Musik in Brandenburg. Im ersten Teil sind Texte von Christian Morgenstern dominant. Der Titel bezieht sich auf die emotionalen 'Bebungen' dieser Texte. Im zweiten Teil übernimmt ein Clavichord im Zuspiel diese Rolle. Das Clavichord ist ein wiederentdecktes Tasten-Instrument aus dem 16. Jahrhundert, das einzige nichtelektronische Tasteninstrument, das wegen seiner Konstruktionsweise ein Vibrato wie ein Saiteninstrument erzeugen kann. Die Komposition spielt mit solchen Klangpotentialen und übersetzt mit diesen Mitteln die Emotionalität der Texte aus dem ersten Teil.
Dietrich Petzold: "Sprache empfinde ich nicht nur als Information sondern auch als Klang und zwar stärker, als die meisten Leute das wahrnehmen. Insofern, wenn ich Musik und Sprache gemeinsam zu denken habe, dann muss ich Sprache auch hören. Zumindest innerlich hören. Das gesamte Klang-Ergebnis ist ohne die Sprache für mich nicht denkbar. Sie spielt mit und zwar als Klang. Deshalb dieses nahezu ausschließliche auf-Sprache-arbeiten im Hörspiel."
Ausschnitt Musik Hiob
Das Hörspiel 'Hiob' nach der Erzählung von Joseph Roth entstand 1999 für den MDR. Die Spiel-Situation im Hörspiel gibt die Klang-Kulisse vor.
Ausschnitt Musik Hiob
Dietrich Petzold: "Das Lied. Menuchims Lied. Wir haben während der Produktion des Hörspiels bemerkt, dass es im Buch das Lied nicht gibt. Es ist bei Roth von dem Lied die Rede, ganz oft, aber es gibt das Lied nicht, das heißt, es gibt auch keinen Text dafür."
Kurzerhand wurde ein jiddischer Autor beauftragt quasi über Nacht einen Text für Menuchims Lied zu schreiben, und ein Sänger, das Lied zu singen.
Dietrich Petzold: "Die Leute stehen da und hören Grammophon und sprechen dazwischen. Und entsprechend habe ich dazwischen Instrumental-Parts, also kurze Geigen-Sachen gemacht, um Zeit zu haben, dass die Schauspieler sprechen können. Deshalb gibt es diese Unterbrechungen im Lied-Text. Es ist also sozusagen extra dafür gebaut, das gesprochene Wort in das Lied zu bauen, und das Lied dabei aber so als Grammophon von irgendwoher ganz hinten kommen zu lassen."
Ausschnitt Musik Suite of Usher
Dietrich Petzold: "Es gibt von mir kaum Sachen, die als selbstständige Musik durchlaufen würden in einem Hörspiel."
Ausschnitt Musik Suite of Usher
Tatsächlich gibt es eine Abspann-Musik 'Suite of Usher', die wortlos 'durchläuft'.
Dietrich Petzold: "Ich würde mich in jedem Falle bemühen, den Wünschen eines Regisseurs nachzukommen, und ich empfinde das nicht als Unterwerfung. Ich diene der Gesamterzählung, wenn's gut geht. Und ich empfinde es als außerordentlich hilfreich, dass eine Regisseurin mir sagt, hier brauche ich etwas, was hintergründig einen Spannungsbogen anfährt, ein sogenannter 'Suspense-Effekt', aber es kann eben auch sein, dass es ganz harte Brüche sind, also eine Musik aufzuziehen ins Schöne hinein und dann plötzlich ohne jede Abblende abzureißen, und mit dem nächsten Wort draufzugehen. Das sind alles Sachen, wo ich dann überlegen kann, wie ich es mit meinen Mitteln erfülle. Aber ich mache es immer mit meinen Mitteln."
Ausschnitt Musik Suite of Usher
Dietrich Petzold: "In jedem Falle ist es möglich, dass Musik eine zweite Ebene unter das Wort legt, dass ein Empfinden sich beim Hörer einstellt, was noch etwas anderes wahrnehmbar macht als das, was das Wort gerade mitteilt. Und wenn da noch einiges offen ist, was der Hörer zu erledigen hat, dann kann da Musik ihren Teil zu liefern."
Am Ende steht für ihn ein Werk, das in seiner Konzentration auf das eine Sinnesorgan – das Ohr – den Hörer dazu bewegt, über den Konsum hinaus eine Mit-Arbeit zu leisten: die Welt im Kopf selbst herzustellen. Nach der These des kanadischen Philosophen Marshall McLuhan macht diese Tatsache das Radio zu einem kalten Medium, im Gegensatz zum Fernsehen, einem heißen Medium, das durch Manipulation den Zuschauer in einen bloßen Konsumenten verwandelt. In der Hörspiel-Arbeit laufen für Dietrich Petzold alle Erfahrungen aus Theater und Improvisation zusammen.
Dietrich Petzold: "Das ist für mich ganz erfreuliche Kommunikation, selbst wenn ich beim Hörspiel nicht mit den Schauspielern direkt im Studio zusammen bin, sondern nur ihre Stimmen auf dem Kopfhörer habe. Aber es ist Zusammenspiel. Es ist genauso, als wenn ich mit einem Streichquartett von improvisierenden Musikern gemeinsam spiele. Es ist ein großer Genuss, voneinander abzunehmen, aufeinander einzugehen. Dass die Schauspieler beim Hörspiel von diesem Prozess oftmals gar nichts mitkriegen – wenn sie Glück haben merken sie hinterher, dass da so was war. Das ich mit ihnen mitgespielt habe."