Ma Ellen räumt auf
"Ellen Johnson-Sirleaf hat eine Welt auf den Kopf gestellt: Sie ist Afrikas erste gewählte Staats- und Regierungschefin. Seit Januar 2006 regiert sie in Liberia mit einem Kabinett, in dem vier Frauen den wichtigsten Ministerien vorstehen. Auch die nationale Polizei wird von einer Frau geführt. Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit marschierte die Präsidentin ins Finanzministerium und feuerte 300 korrupte Staatsangestellte. 70 Jahre alt ist Ellen Johnson-Sirleaf und gilt als Hoffnungsträgerin für ganz Afrika."
"Als wir für Ellen Wahlkampf machten, wurden wir immer wieder von Frauen gefragt: "Glaubst Du wirklich, dass eine Frau Präsidentin werden kann?" Ich antwortete: "Wir, die Frauen, kümmern uns um unser Zuhause. Wir sind diejenigen, die aufräumen. Die Leute meinen, wir sollten das Haus aufräumen, den Hof sauber halten und die Kleidung waschen. Zur Zeit ist Liberia dreckig. Liberia ist schmutzig. Also ist es unsere, der Frauen, Aufgabe, jetzt aufzuräumen. Und schauen Sie nur, was mit Ellen bei uns passiert. So etwas haben wir noch nie gesehen: Sie räumt hier wirklich auf!"
"Macht ist für mich die Fähigkeit, Leute durch Inspiration und Motivation dazu zu bringen, das zu machen, was Du willst. Man erreicht seine Ziele durch beispielhafte Führung. Die Menschen sollen an Dich glauben, Dir vertrauen, mit Dir zusammenarbeiten, weil sie überzeugt sind, dass Du die gemeinsamen Ziele erreichen wirst. Leute mit solchen Eigenschaften sind sehr viel mächtiger als solche, die mit eiserner Faust, durch Militarismus oder mit Gewalt herrschen. "
"Ma Ellen räumt auf"
Frauen-Macht in Liberia
Ein Feature von Bettina Ambach
Ida Moore und Ellen Johnson-Sirleaf sind Bürgerinnen desselben Landes, doch sie sind sich noch nie begegnet. Ida Moore lebt 300 Kilometer von der liberianischen Hauptstadt Monrovia entfernt in einem Dorf namens Palala. Die 42-Jährige ist Präsidentin der "Kpaai Women Development Association", eine Frauengruppe, die in Palala und 48 umliegenden Dörfern die traditionelle Welt auf den Kopf gestellt hat.
Auch Ellen Johnson-Sirleaf hat eine Welt auf den Kopf gestellt: Sie ist Afrikas erste gewählte Staats- und Regierungschefin.
Seit Januar 2006 regiert sie mit einem Kabinett, in dem vier Frauen den wichtigsten Ministerien vorstehen. Auch die nationale Polizei wird von einer Frau geführt. Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit marschierte die Präsidentin ins Finanzministerium und feuerte 300 korrupte Staatsangestellte.
70 Jahre alt ist Ellen Johnson-Sirleaf und gilt als Hoffnungsträgerin für ganz Afrika.
Nach sieben Stunden Fahrt über schlaglöcherübersäte Straßen erreiche ich Idas Haus in Palala, einem Dorf im Bong-Verwaltungsbezirk, 300 Kilometer von Monrovia entfernt. Ein unverputztes Lehmhaus mit vier Zimmern ist ihr Zuhause, in dem sie mit ihrem Mann, ihren fünf Kindern und vier Pflegekindern lebt - ohne fließendes Wasser und Strom. Vor dem Haus hat sie einen kleinen Garten mit bunten Blumen angelegt. Die Küche ist in einer Hütte im Hinterhof untergebracht, übereinander gelegte Palmwedel bilden das Dach. Hier spielt sich das Alltagsleben ab, kleine Holzbänke stehen für Besucher bereit.
Es ist acht Uhr morgens, die fünf Kinder sind gerade zur Schule gegangen, und Ida zieht sich schnell an, Jeans, T-Shirt und Sandalen. Darin sieht sie viel jünger aus als 42. Schon kommen die ersten Frauen ihres Vereins, um eine Sitzung in ihrem neuen Frauenzentrum zu planen. Nach fünf Jahren haben sie es endlich geschafft, ihr eigenes Zentrum mit Versammlungshalle und Büroräumen zu bauen. 2003 hatte alles als Friedensinitiative angefangen, allerdings mit einer Extra-Komponente:
"Wir finden es sehr schwierig, mit Männern zu arbeiten. Wir finden es auch sehr schwierig, mit ihnen zu leben. Wir tun den Großteil der Arbeit und dann bei den Dorfversammlungen, wo wichtige Entscheidungen getroffen werden, setzen sich die Männer hin und sagen: Die Frauen sollen kochen, und wir entscheiden über die Dorfangelegenheiten. Nein! Wir können mehr als kochen!"
Für Ida bedeutete das Ende der Kriegshandlungen auch, dass die Männerherrschaft abgewirtschaftet hatte.
Sie wollte einen Neuanfang. Eine Frauenbewegung, die den Wandel in Gang bringt. Ihr war klar, dass ihre ersten Aktionen Aufsehen erregen mussten; nur erste sichtbare Erfolge würden die Zweifler überzeugen. Ida trommelte die Frauen von Palala zusammen:
"Wir begannen, das überall wuchernde Gras auf den öffentlichen Dorfplätzen zu schneiden. Dahinter stand die Idee, dass wir Frauen uns nur gemeinschaftlich organisieren müssen, um Lösungen für unsere Probleme zu finden. Wir waren anfangs nur sechs Frauen, aber schließlich schlossen sich viele andere an und so haben wir es geschafft, das ganze Dorf zu säubern. "
Die Frauen von Palala organisierten eine Werbekampagne für saubere Dörfer und zogen von Dorf zu Dorf, ganze Nachmittage marschierten sie zu Fuß in der sengenden Hitze. Schon auf einem der ersten Treffen beschlossen sie, ihrer Organisation eine wirtschaftliche Basis zu geben.
"Uns wurde klar, dass wir kleine Geschäfte machen mussten, um unserer Organisation mehr Kraft zu geben und unsere Gruppe zusammenzuhalten. Viele begannen mit Gartenarbeit, andere mit Feldarbeit, die meisten legten gemeinschaftlich Reisfelder an. Einerseits um selbst zu essen, andererseits um durch den Verkauf Geld zu verdienen. Außerdem organisierten wir in jedem Dorf, das wir besuchten, Sammelaktionen: zum Beispiel 100 liberianische Dollar, 15 Becher Reis und eine Flasche Palmöl. Diese Sachen übergaben wir im Beisein des Dorfchefs, des Ältestenrates und der Jugendorganisation der Chefin der Frauengruppe, so dass sie mit diesem Startkapital ihr erstes Projekt umsetzen konnte, egal ob es nun ein Reisfeld oder eine Schule war. Dann gingen wir zum nächsten Dorf. Mittlerweile sind die Frauengruppen von 48 Dörfern unserer Organisation beigetreten."
"Wir feiern heute unseren Fahnentag. Wir sind wieder glücklich, Liberianer zu sein. So wie es aussieht, macht unser Land Fortschritte.
Der Krieg ist vorbei. Alles ist okay. Bei uns herrscht Frieden.
Wir sind froh, heute hier zu sein, aber ich bete, dass die Regierung den Reispreis reduzieren wird, damit ich etwas zu essen habe."
Monrovia in Feierstimmung. "Flag Day", Flaggentag ist heute, und vor kurzem hat die Regierung diesen Tag neben dem eigentlichen Nationalfeiertag, dem 26. Juli, zu einem weiteren Feiertag erklärt. Die liberianische Flagge ähnelt stark dem Sternenbanner und erinnert daran, dass Liberia 1847 von befreiten US-amerikanischen Sklaven gegründet wurde.
Tausende säumen die Hauptstraße von Monrovia, um sich die Parade anzuschauen. Im Gleichschritt marschieren Schulgruppen vorbei. Die Gebäude, die entlang der ehemaligen Prachtstraße stehen, sind zum großen Teil zerstört, zerschossen und durch das heiß-schwüle Klima mit schwarzem Schimmel und einer grünen Moosschicht bedeckt. Die Bewohner dieser Häuser sind Obdachlose, unter ihnen viele ehemalige Soldaten. Einige von ihnen stehen in den Fensterlöchern der Ruinen und schauen zu.
"Meine Mission ist es, die treibende Kraft für einen Wandel in Liberia zu sein – angesichts der immensen Unterentwicklung in einem Land mit so vielen Rohstoffen eine absolute Notwendigkeit. Wir brauchen eine neue Art von politischer Führung."
Ellen Johnson-Sirleaf spricht in ruhigem, aber bestimmtem Ton. Die 70-jährige Präsidentin ist in afrikanischem Stil elegant gekleidet: hellblaue Bluse mit einem langen blau-grün-rotem Rock; auf dem Kopf einen kunstvoll gebundenen Turban aus dem gleichen Stoff.
Ellen Johnson-Sirleaf, die Enkelin eines deutschen Kaufmanns und einer Liberianerin, studierte an der US-amerikanischen Elite-Universität Harvard Wirtschaftswissenschaften und war bereits Ende der Siebziger Jahre in Liberia Finanzministerin. Unter Militärdiktator Samuel Doe wurde sie in den Achtziger Jahren zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie den Präsidenten öffentlich kritisiert hatte. Nach ein paar Monaten der Gefangenschaft flüchtete sie in die USA, arbeitete in den Folgejahren bei der US-amerikanischen Citibank, der Entwicklungsorganisation UNDP und bei der Weltbank.
Als Befürworterin einer strengen Finanzpolitik sah Ellen Johnson-Sirleaf nach ihrer Wahl zur Präsidentin im November 2005 auch keine Notwendigkeit, präsidiale Prestigebauten zu errichten, sondern beschloss, die alten Regierungsgebäude renovieren zu lassen.
So findet unser Interview im Außenministerium statt, wo die Präsidentin zwei der sechs Etagen gemietet hat, bis die Renovierung des Präsidentenamtes fertig ist. Das Außenministerium ist ein beige-farbener älterer Kasten, streng bewacht von einem rein weiblichen indischen Kontingent der "United Nations Mission in Liberia", die ursprünglich 16 000 Männer und Frauen starke UN-Truppe, die seit einigen Monaten langsam reduziert wird.
Die Chefetagen sind hier alle sehr funktional eingerichtet, nichts erinnert an den üblichen Pomp afrikanischer Würdenträger. Ellen Johnson-Sirleaf betritt das Zimmer und strahlt Macht, Sicherheit und Autorität aus. Freundlich, aber kein Wort zu viel, so beginnt unser Gespräch.
"Unser Friede ist noch zerbrechlich, und die Geschichte von Post-Konflikt-Ländern hat gezeigt, dass in den ersten fünf Jahren immer die Gefahr einer Rückkehr zur Gewalt besteht. Es hängt alles davon ab, wie schnell wir die Grundbedürfnisse der normalen Leute befriedigen können: Schule, Gesundheitsvorsorge, Jobs, sauberes Wasser, eine Möglichkeit, in ihre Dörfer zurückzukehren. Wenn wir es nächstes Jahr schaffen, in all diesen Bereichen Fortschritte zu machen, dann, glaube ich, ist unser Weg unumkehrbar. "
Die dringend zu lösenden Probleme des Landes sind immens: 2003 ging ein 14-jähriger Bürgerkrieg zu Ende, der 250.000 Tote und 800.000 Vertriebene hinterließ – und das bei einer Bevölkerung von nur 3,4 Millionen. Und Frauen und Mädchen waren nicht nur Vertreibung und Tod ausgesetzt, sondern auch sexueller Gewalt. Zwei Drittel der weiblichen Bevölkerung Liberias sollen Opfer von Vergewaltigungen sowohl von Rebellen als auch von Regierungssoldaten geworden sein. Hilfen für die derart traumatisierten Frauen gibt es kaum. Die Regierung hat zwar mit Hilfe der UN ungefähr 100.000 ehemalige Kämpfer erfolgreich entwaffnet; aber wie besorgt man diesen Menschen für einen Neuanfang einen Arbeitsplatz, wenn die Arbeitslosenrate bei 80 Prozent liegt? Der Gesundheitssektor liegt danieder, nur die Hauptstadt Monrovia hat Strom, die Sicherheitskräfte sind noch in US-amerikanischer Ausbildung.
Im Jahr 2006 begann eine "Wahrheits- und Versöhnungskommission" sich mit der Vergangenheit zu befassen. Kritiker befürchten, dass damit der Weg zu einem Kriegsverbrechertribunal verbaut ist – besonders, weil viele der ehemaligen Warlords im Parlament und im Senat sitzen und alles tun werden, um die eigene Strafverfolgung zu verhindern.
Die Präsidentin weiß genau, vor welchem Berg ungelöster Aufgaben sie steht. Aber ein ganz persönliches Erfolgserlebnis kann sie schon vorzeigen:
"Durch die Einführung von obligatorischem Grundschulunterricht ist die Anzahl der Schulkinder um 47 Prozent in die Höhe gegangen, und die Mehrheit von ihnen sind Mädchen."
Palala: Mittlerweile sind fünf weitere Frauen in Idas Haus eingetroffen. Sie wollen alle zusammen ins neue Frauenzentrum von Palala gehen, um zu besprechen, was sie gegen die Zunahme der grässlichen Gewalttaten tun können, die seit einigen Wochen die Menschen hier in Angst und Schrecken versetzen. Sie nennen es "secret killings", "geheime Morde", die viele Rätsel aufwerfen: Den Opfern – meistens Frauen, jung und alt – fehlen irgendwelche inneren Organe.
Die Frauen lamentieren nicht nur über die prekäre Sicherheitslage, sondern versuchen, etwas dagegen zu tun:
"Wir werden als erstes mit dem Dorfchef reden, um ihm unsere Sorgen mitzuteilen. Dann gehen wir zum Paramount-Chef, der übergeordneten Instanz. Und schließlich würden wir auch bis zum Verwaltungschef des ganzen Bezirkes gehen, damit unsere Stimmen gehört werden. Ja, wir Frauen wollen von nun an wirklich an den Entscheidungsprozessen teilnehmen."
Von einem Moment auf den anderen überrascht ein heftiger tropischer Regenguss die Frauen. Egal – entscheiden sie – die restlichen Frauen warten bereits im Versammlungshaus und aus Zucker sei man ja auch nicht.
Das von den Frauen gebaute Versammlungshaus ist ein großes Lehmhaus mit einem Saal und drei kleinen Büros. Das Geld reichte am Ende nur noch für ein dünnes Blechdach, auf das nun laut der Regen prasselt, so dass man kaum das Wort des anderen versteht. Das Mobiliar besteht aus 30 Plastikstühlen, vor den Fenstern hängen bunte Stoffreste als Gardinen.
Ida begrüßt die Frauen in ihrer Sprache Kpelle und leitet die Diskussion. Nun ergreift Nancy Wiles das Wort, 45 Jahre alt, von Beruf Schneiderin und Verkäuferin von Fisch und Reis:
"So wahr ich hier vor Euch stehe, ich habe diese ganze Sache mit der männlichen Führerschaft satt! Die Männer richten das ganze Land nach ihrem Willen aus, so als ob es ihnen allein gehört – ich kann es nicht mehr mit ansehen!
Der ganze Krieg wurde doch nur von Männern geplant. Frauen gebären Kinder und haben Mitgefühl für andere Menschen. Sie planen keinen Aufstand, noch führen sie Krieg oder töten ihre eigenen Kinder."
Wenn in Monrovia die Präsidentin mit ihrer Sicherheitskolonne durch die Stadt fährt, werden die Straßen geräumt. Vorne fährt ein ziviles Fahrzeug mit einem Lautsprecher auf dem Dach und bittet die anderen Autofahrer an der Seite anzuhalten. Kurz danach rast ein Jeep mit schwer bewaffneten UN-Soldaten vorbei, und dann erst kommt der schwarze Mercedes mit der Präsidentin. Was denkt sie, wenn sie durch "ihr" Monrovia fährt?
"Ich denke an den schwierigen Wandel, ich denke an die Tausenden von Menschen, die wegen des Krieges ihre Dörfer verlassen mussten und immer noch nicht zurückkehren können, weil es keine Jobs und keine Grundversorgung gibt.
Ich werde sehr traurig, wenn ich an das frühere Monrovia denke und es heute sehe. Glauben Sie mir, obwohl die Straßen für mich geräumt werden, sehe ich immer noch das, was ganz normale Leute auch sehen. Ich sehe die Leute, die zum Überleben alle möglichen Waren auf den Bürgersteigen anbieten; ich sehe die Folgen des Krieges, die zerstörten Gebäude, die noch nicht repariert werden konnten, weil unsere Geldmittel nicht reichen und wir so viele Prioritäten gleichzeitig haben."
Die zuerst so unnahbar wirkende Präsidentin zeigt Gefühle. Wie ein Schutzschild trägt sie manchmal ihre Härte zur Schau. Das Gesprächsklima, das am Anfang eher kühl, sachlich und etwas steif war, hat sich aufgelockert. Wer ist sie denn nun: die "Eiserne Lady" oder die "Ma Ellen"?
"Ja, sie geben beide Seiten meiner Persönlichkeit wieder: Fiskale Disziplin, die immer mit meiner beruflichen Karriere in Verbindung gebracht wurde. Da kommt der Spitzname der "Eisernen Lady" her – nicht, dass ich Knochen brechen kann – aber dass ich, mit finanziellen Unregelmäßigkeiten konfrontiert, sehr harte Entscheidungen treffen kann; mutige Entscheidungen, auch wenn sie nicht populär sind.
Mit meinem anderen Spitznamen "Ma Ellen" wird die großmütterliche Seite von mir angesprochen, die Sensibilität, die eine Frau in einer so verantwortungsvollen Position mitbringt. Diesen Namen möchte ich genauso wenig verlieren. Wenn ich unters Volk gehe, nennen mich die jungen Leute "Ma Ellen" oder "Grandma". So kann ich sie erreichen und ihnen zu verstehen geben, dass auch sie wichtig sind und dass sie vor jemandem in einer hohen Position keine Angst zu haben brauchen. "
Die Rolle der "Eisernen Lady" kommt aber ganz bestimmt zum Zuge, wenn es um den Kampf gegen die allgegenwärtige Korruption im Land geht. Zu Beginn ihrer Amtszeit rief sie mit viel Nachdruck eine "Null Toleranz"-Politik aus; unzählige Kampagnen sollten den Bürgern die verheerenden Konsequenzen eines korrupten Systems vor Augen führen.
Wieder in Palala. Ida muss der Dorfchefin vom Nachbardorf Beneta einen Besuch abstatten. Sie wollen darüber diskutieren, wie man mit der aufmüpfigen Dorfjugend umgehen soll. In Beneta sind die Frauen einen etwas anderen Weg gegangen; anstatt erst einmal eine straff organisierte Frauengruppe zu gründen und eine Chefin zu wählen, die dann mit mehr Gewicht dem Dorfchef und dem Ältestenrat entgegentreten kann, haben die Frauen in Beneta direkt eine Frau an die Spitze des Dorfes gesetzt.
Die Chefin arbeitet gerade auf ihrem Reisfeld und bittet um etwas Geduld. Das halbe Dorf ist gekommen, um Ida zu begrüßen. Der Anblick ist desolat: Die Lehmhäuser sind durch die Regenzeit schwer beschädigt, viele der Strohdächer sind undicht geworden. Wie überall in den ländlichen Gebieten Liberias gibt es keinen Strom und nur einen Brunnen. Die Kinder laufen in Fetzen gekleidet zwischen den Hühnern und Ziegen herum. Bango Dolo, die Chefin von Beneta, ist von ihrer Feldarbeit heimgekehrt und bittet die Besucher, auf ihrer Holzbank Platz zu nehmen:
"Die Männer haben von ganz alleine eingesehen, dass wir Frauen besser verhandeln können. Während des Krieges mussten wir die Wunden all der Verletzten heilen, jetzt müssen wir uns um die Geschicke des Dorfes kümmern. Der Krieg hat die Rollen von Mann und Frau stark verändert. Früher saßen die Männer alleine in der Palaver-Hütte und trafen alle Entscheidungen; jetzt entscheiden Männer und Frauen gemeinsam."
Die anwesenden Männer nicken zustimmend. Ida scheint den Eindruck zu haben, dass der Werdegang ihrer Frauenbewegung auf diese Weise doch etwas zu harmonisch dargestellt wird, und erzählt zur Belustigung der vielen Zuhörer, wie die anfängliche Reaktion von 99 Prozent der Männer war:
"Die meisten von ihnen fühlten sich bedroht. Einerseits hatten sie Angst um ihre Macht, andererseits waren sie eifersüchtig. Einer von ihnen sagte auf einer Versammlung: "Ich bekenne ganz offen, dass ich am Anfang glaubte, diese Frauengruppe sei nur zum Flirten da, Spielchen im Dunkeln, Treffen mit Liebhabern und solche Sachen. Aber mittlerweile habe ich die gemeinnützige Arbeit von Euch schätzen gelernt. Von heute an möchten meine Frau und ich Mitglieder Eurer Gruppe werden. Wenn Ihr hier in unserem Dorf ein Büro aufmacht, werde ich zur Feier ein Tier schlachten und es zubereiten, damit alle zu essen haben.""
Es ist früher Abend geworden, als Ida wieder zu Hause ankommt. Die Hausfrauen- und Mutterpflichten warten auf sie; Schulsachen der Kinder überprüfen, Wäsche waschen, Abendessen vorbereiten. Aber bevor sie sich in den häuslichen Alltag stürzt, möchte sie zu der Dorfchefin von Beneta noch ein paar abschließende Worte sagen. Denn Bango Dolo habe bewiesen, dass politische Entscheidungsprozesse unter der Führung von Frauen ganz anders aussehen:
"Vor einiger Zeit besuchte ich Beneta mit dem Senator, der als Geschenk eine Trinkwasserpumpe mitbrachte. Wir trafen die Dorfchefin. Und was tat sie? Sie berief eine Versammlung ein, in der Männer, Frauen, die Jugend und die Alten anwesend waren. Sie diskutierten über einen geeigneten Ort für die Pumpe. Alle waren an der Entscheidungsfindung beteiligt. Die Männer sagten, sie würden das Loch für den Brunnen graben, die Frauen boten an, den nötigen Sand und Steine zusammenzutragen, und die Jugend würde beiden Gruppen helfen. Die Dorfchefin gab nicht einfach Befehle, sondern jeder sagte freiwillig, was er am Besten machen konnte. Diejenigen, die von den Entscheidungen betroffen sind, sollten auch diejenigen sein, die sie treffen. "
Über die Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf sagen alle, die sie kennen, dass sie gut zuhören kann. Nicht nur ihrem Berater oder ihren Ministern, sondern ebenso den Marktfrauen und jetzt arbeitslosen ehemaligen Kindersoldaten. Neben Kabinettssitzungen, Staatsbesuchen und Empfängen geht sie regelmäßig zu ihren "town hall meetings", Bürgertreffen. Dort können ganz normale Leute "Ma Ellen" ihre Sorgen vortragen. Die Harvard-Absolventin kann auch die Sprache der weniger Gebildeten sprechen:
"Okay some of you can sit on here if it is closed to the market, but we are not going to allow people just crowd the street, cars can´t pass, people can´t pass, it´s not right to say: I will be the first one to put back my table there, let them catch me first!"
Ein Mal im Monat spricht die Präsidentin in einem Programm des Radiosenders der Vereinten Nationen mit der Bevölkerung – damit es alle verstehen auf Pidgin Englisch. Die Präsidentin versucht den Straßenverkäufern klar zu machen, dass sie zu den für sie bereitgestellten und gerade fertig renovierten Marktständen umziehen müssen.
Sie fordert außerdem die Menschen am Flussufer auf, die besetzten Gebäude zu räumen oder ihre Besitzurkunden vorzuzeigen, damit sie entschädigt werden können.
"There are certain places at the Mesurado River, they are turning it into one big sewer – hmmmm ... we are not going to allow that!"
Im ersten Regierungsjahr, wird mir erzählt, wäre die Präsidentin beinahe von einer wütenden Menge arbeitsloser Ex-Kämpfer angegriffen worden. Die Männer hätten sich in Scharen vor dem Präsidentenamt versammelt und ihre ausstehenden Pensionszahlungen verlangt. Die Stimmung war explosiv. Gegen alle Ratschläge der Sicherheitsberater, sei die Präsidentin der aufgebrachten Menge entgegen gegangen und habe nach ihrem Anführer gefragt. Wie eine strenge Mutter ermahnte sie die Soldaten, dass sie immer zum Verhandeln bereit sei, aber die erneuten Kriegsdrohungen der Soldaten müssten sofort unterbleiben. Mit gesenktem Kopf versprachen die Protestierenden, friedlich zu bleiben. Noch am selben Nachmittag handelte die Präsidentin mit Repräsentanten der ehemaligen Kämpfer eine Kompromisslösung aus.
Haben Frauen von Natur aus diese Begabung zuzuhören, auf andere einzugehen, Kompromisse zu finden?
"Ich glaube wirklich, dass es mit den Genen einer Frau zu tun hat. Biologisch gesehen sind wir nun einmal Mütter, da muss etwas sein, was einer Frau mehr Anteilnahme am Los der Menschheit mitgegeben hat; eine Neigung, sich um andere zu kümmern.
Natürlich verändern und verhärten Lebensumstände und Erziehung die Eigenschaften einer Frau. Aber ich glaube, dass in jeder Frau dieses Element der Fürsorge steckt. Wir können dieses Element unterdrücken, wenn wir mächtig werden und mit Gewalt regieren wollen – auch solche Beispiele sind in der Geschichte zu finden. "
Damit begibt sich die Präsidentin geradewegs in die heikle Diskussion, ob der Mensch nur von Erziehung und Umwelt geformt wird – oder eben auch von den Genen. Gibt es so etwas wie die "typisch weibliche Natur"?
Ellen Johnson-Sirleaf will sich gar nicht zu dieser Diskussion äußern, sie findet sie schlicht unnütz. Für sie hat die Natur Männer und Frauen mit unterschiedlichen Neigungen und Talenten ausgestattet, aber nicht etwa so, dass Frauen für Führungspositionen nicht geeignet seien.
"Jede Frau, die hier einen wichtigen Posten besetzt, hat es verdient – durch ihre Qualifikation, Kompetenz und Leistung. Sie sitzen nicht auf diesen Posten, weil sie Frauen sind. Sie haben die Männer stellenweise an Leistung übertroffen. Die Männer können sich also nicht beschweren.
Und ich suche zurzeit sogar noch mehr Frauen für hohe Regierungsposten, weil Frauen arbeiten mehr und besser. Wenn ich also Frauen mit der nötigen Kompetenz und Qualifizierung finde, dann habe ich vielleicht eine minimale Präferenz gegenüber unserem Geschlecht.
Ich habe es noch nicht geschafft, 50 Prozent meines Kabinetts mit Frauen zu besetzen. Wenn ich die richtigen Frauen dazu finde, dann werde ich es tun!"
Sechs Uhr dreißig in Palala. Die Frauen in Afrika stehen meistens schon mit dem ersten Tageslicht auf, das sie auch aus Gründen des Energie-Sparens ausnutzen wollen. Ida hat bereits das Wasser aufgesetzt, um für Mann und Kinder das Frühstück zu machen.
Heute will sie eine ganz besondere Person besuchen: Nowai Gbarnjah hat sich als Kandidatin für das Amt des "Paramount Chief" des Kpaai-Distrikts aufstellen lassen. Der "Paramount Chief" ist der Chef von 55 Dorf-Chiefs. Bisher waren diese Ämter vererbbar, nun sollen in den nächsten Monaten in Liberia zum ersten Mal Kommunalwahlen stattfinden.
Das Dorf Banjata liegt ungefähr 40 Kilometer von Palala entfernt. Nowai Gbarnjah, die Paramount-Chief-Kandidatin, freut sich sichtlich, ihr bestimmt um 15 Jahre jüngeres Vorbild Ida zu sehen. Das Dorf liegt etwas erhöht an einer Straße, ein schlammiger Weg führt hinauf zu Nowais kleinem Lehmhaus.
"In den letzten Monaten sind immer mehr Dorfbewohner zu mir gekommen und haben gesagt: "Wenn Frauen in Führungspositionen sind, dann konsultieren sie die anderen und entscheiden nicht einfach allein." Unter denjenigen, die mich dann als Paramount Chief vorschlugen, waren übrigens besonders viele Männer.
Meine Ziele sind folgende: Erstens soll hier Frieden herrschen und zweitens brauchen wir ein Gymnasium für unseren Distrikt, weil die Menschen kein Geld haben, ihre Kinder in die nächste - 70 Kilometer entfernte - größere Stadt zu schicken."
Die Kinder von Nowai unterbrechen das Gespräch und servieren gekochten Reis, Kürbis und Fisch. Während des Essens macht Nowai Witze, sie hätte jetzt für Aufgaben wie das Kochen keine Zeit mehr. Sie sei jetzt Politikerin, und habe die häuslichen Aufgaben an ihre schon erwachsenen Kinder delegiert. Ihre Handtasche ist schon gepackt, weil sie zu einer Versammlung in die nächst größere Stadt fahren wird. Nowai macht keinen Hehl daraus: Sie will nach oben, in die politische Chefetage.
Nach dem Besuch bei der Paramount-Chief-Kandidatin geht es zur letzten Station von Idas Erkundungsreise: Suwinta mit ungefähr 2000 Einwohnern. Die Frauengruppe diese Dorfes ist besonders aktiv in Idas "Kpaai Women Development Association". Sie haben sich voll und ganz der Erwachsenenbildung verschrieben und eine Schule mit mehreren Klassenzimmern gebaut.
In einem bescheidenen Versammlungshaus haben sich ungefähr 40 Frauen eingefunden. Vorne hängt eine Tafel an der Wand, davor steht ein Pult mit drei Holzstühlen, und im hinteren Teil stehen Holzbänke fürs Publikum. Zur Begrüßung wird erstmal gesungen und getanzt. Ida hält eine Rede, dankt den Frauen, dass manche von ihnen den stundenlangen Fußmarsch auf sich genommen haben, und beginnt mit dem Gebet.
Dann tritt Rebecca Flomo aus der Menge hervor. Eine kleine, zierliche Frau von 57 Jahren, bekleidet mit einem bunten Batikstoff, den sie als Wickelkleid trägt. Sie ist "Clan leader", das heißt, dass sie für die Frauengruppen von drei bis vier Dörfern spricht. Sie wendet sich dem Publikum zu und beginnt eine flammende Rede:
"Die Zeit der Frauen ist gekommen; kein Mann soll jemals wieder den Kopf seiner Frau unter seine Achselhöhle klemmen, damit sie nicht sprechen kann. Jetzt gehen wir aufrecht! Unsere Köpfe sind oben, und wir kämpfen für unsere Rechte!"
Besonders bei den Diskussionen über das neue Eigentumsgesetz ging es ziemlich hoch her, erinnert sich Ida:
"Das sind gute neue Entwicklungen! Früher galten Frauen als Eigentum des Mannes. Man kann aber nicht Eigentum sein und gleichzeitig Eigentum haben!
Mit dem neuen Gesetz erlangt die Frau bei der Heirat ein Drittel des gemeinsamen Besitzes. Und sie kann unter ihrem eigenen Namen weiteres Eigentum erwerben. Das Gesetz verbietet außerdem die Zwangsheirat. Wir haben heute das Recht, unseren Ehemann selbst auszuwählen. Wenn wir nicht einverstanden sind, kann uns keiner zwingen.
Das ist ein ernsthaftes Problem. Während des Krieges hat es so viele Vergewaltigungen gegeben, aber selbst heute ist das noch ein Problem. Jetzt gibt es wenigstens ein Gesetz, das Vergewaltigung unter Strafe stellt: Du kommst vors Gericht, und wenn du für schuldig erklärt wirst, musst du ins Gefängnis. Wir versuchen auch ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Vergewaltigungsfälle nicht wie eine kleine Familienstreitigkeit behandelt werden, und dass sich die Opfer nicht schämen sollten, es zu denunzieren. Wir sagen unseren Frauen, dass sie sofort zur Polizei gehen sollen und wenn es keine Polizei gibt, dann zum Dorfchef. Der Dorfchef soll uns rufen, und wir kümmern uns darum, dass die Sache vors Gericht kommt. "
Selbst auf den Gesichtern der engagierten Frauengruppe von Suwinta zeigt sich ein Hauch von Scham, wenn dieses Thema angesprochen wird. Aber als Sarah Nyanfakollie vor die Frauen tritt - eine kräftige, kompakte Person mit resolutem Gesichtsausdruck – ist das Gefühl schon wieder verflogen. Sarah Nyanfakollie ist die Leiterin des Alphabetisierungsprogramms, für das Suwinta über die Dorfgrenzen hinaus bekannt ist.
"Männer dürfen auch zum Unterricht kommen, aber das Problem ist, dass sie nach kurzer Zeit wieder wegrennen. Es gibt viel mehr Frauen in den Alphabetisierungsklassen. Sie können sich besser ausdrücken, besser verständlich machen. Die Männer fühlen sich unsicher und kommen schließlich nicht mehr zum Unterricht. "
Nach einiger Zeit sei man also wieder unter sich, sagt Sarah Nyanfakollie nicht besonders erschüttert. Ganz wichtig sei noch ein anderer Unterrichtsstoff: vor Publikum eine Rede zu halten. Sarah rät: Wenn Dorfversammlungen einberufen werden, sollen die Frauen daran teilnehmen und sich Gehör verschaffen.
Zur Belustigung der Frauenrunde erzählt Sarah abschließend, warum die Männer manchmal so gereizt auf ihre Bildungsarbeit reagierten:
"Sie sagen: "Du versuchst, die Augen meiner Frau zu öffnen? So dass sie einen Brief schreiben kann? So dass sie ihn lesen kann? Oh nein, dann kann ich nicht mehr die Briefe meiner Freundin im Haus rum liegen lassen!"
Und tatsächlich: Die Augen der Frauen öffnen sich immer mehr. Wenn jetzt die Ehefrau einen Brief der Geliebten ihres Mannes entdeckt, öffnet sie ihn und bring ihn mit ins Klassenzimmer. Dann wird er laut vorgelesen. Deshalb haben die Männer Angst, dass sich die Augen ihrer Frauen öffnen. "
Die Stimmung wird immer besser. Im hinteren Teil der Versammlungshalle entsteht ein lautes Getuschel, eine Gruppe von Frauen zeigt auf Joseph Ndi Mulbah, den einzigen Mann in der Halle. Er wolle auch etwas sagen, rufen die Frauen. Joseph Ndi Mulbah kommt nach vorne und stellt sich stolz als der Sekretär der Frauengruppe von Suwinta vor.
"Ich begleite sie auf all ihren Reisen. Ich mache auch die Planung der Reisen. Auf den Sitzungen führe ich Protokoll. Ich lese die Tagesordnung vor und notiere unsere Beschlüsse und die Punkte, die noch weiter diskutiert werden müssen. Ich begleite sie überall hin, weil ich sie vor Gefahren bewahren will."
Joseph Ndi Mulbah ist ein freundlich wirkender Mann in den Vierzigern. Klein und auch ziemlich schmächtig, hat er sich für den heutigen Tag herausgeputzt, weißes Hemd und schwarze Hose. Die Clan-Chefin Rebecca und die Lehrerin Sarah preisen die Qualitäten ihres verlässlichen Sekretärs. Sarah erzählt, dass die Männer aus dem Dorf das Gerücht in die Welt gestreut hätten, Joseph würde nur mit den Frauen arbeiten, weil er hinter ihnen her sei.
"Die Männer machen sich über mich lustig, aber ich sage ihnen bloß: Ich arbeite lieber mit Frauen als mit Männern zusammen. Ich habe so viel von ihnen gelernt. Durch die Reisen in die umliegenden Dörfer habe ich das Land kennengelernt. Und die Männer? Sie trinken und trinken ihren Palmwein – können nicht aufhören. Um zwei Uhr mittags sind sie alle voll.
Es ist nicht einfach, eine Männergruppe zu organisieren. Frauen haben ein viel besseres Gemeinschaftsgefühl. Wir diskutieren, besuchen andere Dörfer, lernen die Standpunkte der anderen kennen und reisen zusammen zurück in unser Dorf. Frauen halten immer zusammen, deshalb liebe ich es, mit ihnen zusammen zu sein."
Nach einem langen Tag ist Ida wieder zu Hause; an der Kochstelle auf kleinen Holzstühlen sitzend, resümiert sie für ihren Mann die Besuche in Banjata und Suwinta. Es hat sich viel getan in den letzten fünf Jahren, auch wenn Ida nicht für ganz Liberia sprechen kann, sondern nur für ihre 48 Dörfer im Kpaai-Bezirk.
So zynisch es klingen mag, aber der bis 2003 herrschende Bürgerkrieg hat dazu beigetragen, dass die traditionelle Geschlechterhierarchie ins Wanken geraten ist. Frauen hatten während des Krieges die Rolle der Ernährerin, der Beschützerin und wegen der Abwesenheit oder dem Tod des Mannes auch die Rolle des Familienoberhauptes. Nach dem Krieg war die Uhr nicht mehr zurückzudrehen; Frauen begannen, endlich auch ihre politischen Rechte einzufordern. Als dann im November 2005 erstmalig eine Frau als Siegerin aus den Präsidentschaftswahlen hervorging und eine so frauenfreundliche Reformpolitik in Gang setzte, feierten die Liberianerinnen den Beginn einer neuen Ära.
Die Präsidentin ist am Ende unseres Gesprächs eher "Ma Ellen” als "Iron Lady”. Die Zeichen des Protokollchefs, dass nun aber wirklich die Interviewzeit abgelaufen sei, übersieht sie geflissentlich.
Ellen Johnson-Sirleaf redet gerade darüber, dass es viel zu lange dauert, bis Frauen auch in die Männerberufe kommen - Ingenieurinnen und Ärztinnen werden. Es gäbe immer noch viel zu viele soziale Barrieren für Frauen:
"Selbst wenn ich zu afrikanischen Staatstreffen gehe, kann ich nicht einfach mit meinen rein männlichen Kollegen in die Bars einen trinken gehen! Ich mache also das formale Programm und gehe zu meinen Arbeitstreffen. Die Jungens dort akzeptieren Dich vielleicht auf der professionellen Ebene, aber in ihre Freundesclique wirst Du nicht so schnell aufgenommen!"
Ja, wann geht sie eigentlich mal aus? Oft sieht man noch um 23 Uhr ihren Mercedes vor dem Außenministerium in Monrovia stehen; ihre ausufernden Arbeitszeiten sind berüchtigt; die engsten Arbeitskollegen stöhnen nicht selten über ihren Rhythmus.
"Ich möchte nicht länger die Einzige sein, die die Bestrebungen und Erwartungen aller afrikanischen Frauen repräsentiert. Ich möchte diese Verantwortung mit anderen Frauen teilen!
Aber da bin ich ganz zuversichtlich: Demokratie hat in Afrika solche Fortschritte gemacht, dass es in Kürze weibliche Kandidatinnen fürs höchste Amt geben wird. Und es ist höchste Zeit. Frauen haben es verdient!"
"Das ist wie: Raupe verwandelt sich in Schmetterling. Die Männer hielten uns früher für Raupen, behütet und eingeschlossen in einem Kokon, weit unter ihnen. Jetzt sind wir wunderschöne Schmetterlinge, fliegen über ihren Köpfen und verschönern die Umgebung!"
Ma Ellen räumt auf
Frauen-Macht in Liberia
Ein Feature von Bettina Ambach
Sie hörten eine Co-Produktion des Deutschlandfunks mit dem Westdeutschen Rundfunk 2008.
Es sprachen: Brigitte Göbel, Edda Fischer, Christel Körner, Claudia Mischke und Hans Bayer
Ton und Technik: Michael Morawietz und Andreas Räder
Regie: Peter Behrendsen
Redaktion: Karin Beindorff
"Macht ist für mich die Fähigkeit, Leute durch Inspiration und Motivation dazu zu bringen, das zu machen, was Du willst. Man erreicht seine Ziele durch beispielhafte Führung. Die Menschen sollen an Dich glauben, Dir vertrauen, mit Dir zusammenarbeiten, weil sie überzeugt sind, dass Du die gemeinsamen Ziele erreichen wirst. Leute mit solchen Eigenschaften sind sehr viel mächtiger als solche, die mit eiserner Faust, durch Militarismus oder mit Gewalt herrschen. "
"Ma Ellen räumt auf"
Frauen-Macht in Liberia
Ein Feature von Bettina Ambach
Ida Moore und Ellen Johnson-Sirleaf sind Bürgerinnen desselben Landes, doch sie sind sich noch nie begegnet. Ida Moore lebt 300 Kilometer von der liberianischen Hauptstadt Monrovia entfernt in einem Dorf namens Palala. Die 42-Jährige ist Präsidentin der "Kpaai Women Development Association", eine Frauengruppe, die in Palala und 48 umliegenden Dörfern die traditionelle Welt auf den Kopf gestellt hat.
Auch Ellen Johnson-Sirleaf hat eine Welt auf den Kopf gestellt: Sie ist Afrikas erste gewählte Staats- und Regierungschefin.
Seit Januar 2006 regiert sie mit einem Kabinett, in dem vier Frauen den wichtigsten Ministerien vorstehen. Auch die nationale Polizei wird von einer Frau geführt. Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit marschierte die Präsidentin ins Finanzministerium und feuerte 300 korrupte Staatsangestellte.
70 Jahre alt ist Ellen Johnson-Sirleaf und gilt als Hoffnungsträgerin für ganz Afrika.
Nach sieben Stunden Fahrt über schlaglöcherübersäte Straßen erreiche ich Idas Haus in Palala, einem Dorf im Bong-Verwaltungsbezirk, 300 Kilometer von Monrovia entfernt. Ein unverputztes Lehmhaus mit vier Zimmern ist ihr Zuhause, in dem sie mit ihrem Mann, ihren fünf Kindern und vier Pflegekindern lebt - ohne fließendes Wasser und Strom. Vor dem Haus hat sie einen kleinen Garten mit bunten Blumen angelegt. Die Küche ist in einer Hütte im Hinterhof untergebracht, übereinander gelegte Palmwedel bilden das Dach. Hier spielt sich das Alltagsleben ab, kleine Holzbänke stehen für Besucher bereit.
Es ist acht Uhr morgens, die fünf Kinder sind gerade zur Schule gegangen, und Ida zieht sich schnell an, Jeans, T-Shirt und Sandalen. Darin sieht sie viel jünger aus als 42. Schon kommen die ersten Frauen ihres Vereins, um eine Sitzung in ihrem neuen Frauenzentrum zu planen. Nach fünf Jahren haben sie es endlich geschafft, ihr eigenes Zentrum mit Versammlungshalle und Büroräumen zu bauen. 2003 hatte alles als Friedensinitiative angefangen, allerdings mit einer Extra-Komponente:
"Wir finden es sehr schwierig, mit Männern zu arbeiten. Wir finden es auch sehr schwierig, mit ihnen zu leben. Wir tun den Großteil der Arbeit und dann bei den Dorfversammlungen, wo wichtige Entscheidungen getroffen werden, setzen sich die Männer hin und sagen: Die Frauen sollen kochen, und wir entscheiden über die Dorfangelegenheiten. Nein! Wir können mehr als kochen!"
Für Ida bedeutete das Ende der Kriegshandlungen auch, dass die Männerherrschaft abgewirtschaftet hatte.
Sie wollte einen Neuanfang. Eine Frauenbewegung, die den Wandel in Gang bringt. Ihr war klar, dass ihre ersten Aktionen Aufsehen erregen mussten; nur erste sichtbare Erfolge würden die Zweifler überzeugen. Ida trommelte die Frauen von Palala zusammen:
"Wir begannen, das überall wuchernde Gras auf den öffentlichen Dorfplätzen zu schneiden. Dahinter stand die Idee, dass wir Frauen uns nur gemeinschaftlich organisieren müssen, um Lösungen für unsere Probleme zu finden. Wir waren anfangs nur sechs Frauen, aber schließlich schlossen sich viele andere an und so haben wir es geschafft, das ganze Dorf zu säubern. "
Die Frauen von Palala organisierten eine Werbekampagne für saubere Dörfer und zogen von Dorf zu Dorf, ganze Nachmittage marschierten sie zu Fuß in der sengenden Hitze. Schon auf einem der ersten Treffen beschlossen sie, ihrer Organisation eine wirtschaftliche Basis zu geben.
"Uns wurde klar, dass wir kleine Geschäfte machen mussten, um unserer Organisation mehr Kraft zu geben und unsere Gruppe zusammenzuhalten. Viele begannen mit Gartenarbeit, andere mit Feldarbeit, die meisten legten gemeinschaftlich Reisfelder an. Einerseits um selbst zu essen, andererseits um durch den Verkauf Geld zu verdienen. Außerdem organisierten wir in jedem Dorf, das wir besuchten, Sammelaktionen: zum Beispiel 100 liberianische Dollar, 15 Becher Reis und eine Flasche Palmöl. Diese Sachen übergaben wir im Beisein des Dorfchefs, des Ältestenrates und der Jugendorganisation der Chefin der Frauengruppe, so dass sie mit diesem Startkapital ihr erstes Projekt umsetzen konnte, egal ob es nun ein Reisfeld oder eine Schule war. Dann gingen wir zum nächsten Dorf. Mittlerweile sind die Frauengruppen von 48 Dörfern unserer Organisation beigetreten."
"Wir feiern heute unseren Fahnentag. Wir sind wieder glücklich, Liberianer zu sein. So wie es aussieht, macht unser Land Fortschritte.
Der Krieg ist vorbei. Alles ist okay. Bei uns herrscht Frieden.
Wir sind froh, heute hier zu sein, aber ich bete, dass die Regierung den Reispreis reduzieren wird, damit ich etwas zu essen habe."
Monrovia in Feierstimmung. "Flag Day", Flaggentag ist heute, und vor kurzem hat die Regierung diesen Tag neben dem eigentlichen Nationalfeiertag, dem 26. Juli, zu einem weiteren Feiertag erklärt. Die liberianische Flagge ähnelt stark dem Sternenbanner und erinnert daran, dass Liberia 1847 von befreiten US-amerikanischen Sklaven gegründet wurde.
Tausende säumen die Hauptstraße von Monrovia, um sich die Parade anzuschauen. Im Gleichschritt marschieren Schulgruppen vorbei. Die Gebäude, die entlang der ehemaligen Prachtstraße stehen, sind zum großen Teil zerstört, zerschossen und durch das heiß-schwüle Klima mit schwarzem Schimmel und einer grünen Moosschicht bedeckt. Die Bewohner dieser Häuser sind Obdachlose, unter ihnen viele ehemalige Soldaten. Einige von ihnen stehen in den Fensterlöchern der Ruinen und schauen zu.
"Meine Mission ist es, die treibende Kraft für einen Wandel in Liberia zu sein – angesichts der immensen Unterentwicklung in einem Land mit so vielen Rohstoffen eine absolute Notwendigkeit. Wir brauchen eine neue Art von politischer Führung."
Ellen Johnson-Sirleaf spricht in ruhigem, aber bestimmtem Ton. Die 70-jährige Präsidentin ist in afrikanischem Stil elegant gekleidet: hellblaue Bluse mit einem langen blau-grün-rotem Rock; auf dem Kopf einen kunstvoll gebundenen Turban aus dem gleichen Stoff.
Ellen Johnson-Sirleaf, die Enkelin eines deutschen Kaufmanns und einer Liberianerin, studierte an der US-amerikanischen Elite-Universität Harvard Wirtschaftswissenschaften und war bereits Ende der Siebziger Jahre in Liberia Finanzministerin. Unter Militärdiktator Samuel Doe wurde sie in den Achtziger Jahren zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie den Präsidenten öffentlich kritisiert hatte. Nach ein paar Monaten der Gefangenschaft flüchtete sie in die USA, arbeitete in den Folgejahren bei der US-amerikanischen Citibank, der Entwicklungsorganisation UNDP und bei der Weltbank.
Als Befürworterin einer strengen Finanzpolitik sah Ellen Johnson-Sirleaf nach ihrer Wahl zur Präsidentin im November 2005 auch keine Notwendigkeit, präsidiale Prestigebauten zu errichten, sondern beschloss, die alten Regierungsgebäude renovieren zu lassen.
So findet unser Interview im Außenministerium statt, wo die Präsidentin zwei der sechs Etagen gemietet hat, bis die Renovierung des Präsidentenamtes fertig ist. Das Außenministerium ist ein beige-farbener älterer Kasten, streng bewacht von einem rein weiblichen indischen Kontingent der "United Nations Mission in Liberia", die ursprünglich 16 000 Männer und Frauen starke UN-Truppe, die seit einigen Monaten langsam reduziert wird.
Die Chefetagen sind hier alle sehr funktional eingerichtet, nichts erinnert an den üblichen Pomp afrikanischer Würdenträger. Ellen Johnson-Sirleaf betritt das Zimmer und strahlt Macht, Sicherheit und Autorität aus. Freundlich, aber kein Wort zu viel, so beginnt unser Gespräch.
"Unser Friede ist noch zerbrechlich, und die Geschichte von Post-Konflikt-Ländern hat gezeigt, dass in den ersten fünf Jahren immer die Gefahr einer Rückkehr zur Gewalt besteht. Es hängt alles davon ab, wie schnell wir die Grundbedürfnisse der normalen Leute befriedigen können: Schule, Gesundheitsvorsorge, Jobs, sauberes Wasser, eine Möglichkeit, in ihre Dörfer zurückzukehren. Wenn wir es nächstes Jahr schaffen, in all diesen Bereichen Fortschritte zu machen, dann, glaube ich, ist unser Weg unumkehrbar. "
Die dringend zu lösenden Probleme des Landes sind immens: 2003 ging ein 14-jähriger Bürgerkrieg zu Ende, der 250.000 Tote und 800.000 Vertriebene hinterließ – und das bei einer Bevölkerung von nur 3,4 Millionen. Und Frauen und Mädchen waren nicht nur Vertreibung und Tod ausgesetzt, sondern auch sexueller Gewalt. Zwei Drittel der weiblichen Bevölkerung Liberias sollen Opfer von Vergewaltigungen sowohl von Rebellen als auch von Regierungssoldaten geworden sein. Hilfen für die derart traumatisierten Frauen gibt es kaum. Die Regierung hat zwar mit Hilfe der UN ungefähr 100.000 ehemalige Kämpfer erfolgreich entwaffnet; aber wie besorgt man diesen Menschen für einen Neuanfang einen Arbeitsplatz, wenn die Arbeitslosenrate bei 80 Prozent liegt? Der Gesundheitssektor liegt danieder, nur die Hauptstadt Monrovia hat Strom, die Sicherheitskräfte sind noch in US-amerikanischer Ausbildung.
Im Jahr 2006 begann eine "Wahrheits- und Versöhnungskommission" sich mit der Vergangenheit zu befassen. Kritiker befürchten, dass damit der Weg zu einem Kriegsverbrechertribunal verbaut ist – besonders, weil viele der ehemaligen Warlords im Parlament und im Senat sitzen und alles tun werden, um die eigene Strafverfolgung zu verhindern.
Die Präsidentin weiß genau, vor welchem Berg ungelöster Aufgaben sie steht. Aber ein ganz persönliches Erfolgserlebnis kann sie schon vorzeigen:
"Durch die Einführung von obligatorischem Grundschulunterricht ist die Anzahl der Schulkinder um 47 Prozent in die Höhe gegangen, und die Mehrheit von ihnen sind Mädchen."
Palala: Mittlerweile sind fünf weitere Frauen in Idas Haus eingetroffen. Sie wollen alle zusammen ins neue Frauenzentrum von Palala gehen, um zu besprechen, was sie gegen die Zunahme der grässlichen Gewalttaten tun können, die seit einigen Wochen die Menschen hier in Angst und Schrecken versetzen. Sie nennen es "secret killings", "geheime Morde", die viele Rätsel aufwerfen: Den Opfern – meistens Frauen, jung und alt – fehlen irgendwelche inneren Organe.
Die Frauen lamentieren nicht nur über die prekäre Sicherheitslage, sondern versuchen, etwas dagegen zu tun:
"Wir werden als erstes mit dem Dorfchef reden, um ihm unsere Sorgen mitzuteilen. Dann gehen wir zum Paramount-Chef, der übergeordneten Instanz. Und schließlich würden wir auch bis zum Verwaltungschef des ganzen Bezirkes gehen, damit unsere Stimmen gehört werden. Ja, wir Frauen wollen von nun an wirklich an den Entscheidungsprozessen teilnehmen."
Von einem Moment auf den anderen überrascht ein heftiger tropischer Regenguss die Frauen. Egal – entscheiden sie – die restlichen Frauen warten bereits im Versammlungshaus und aus Zucker sei man ja auch nicht.
Das von den Frauen gebaute Versammlungshaus ist ein großes Lehmhaus mit einem Saal und drei kleinen Büros. Das Geld reichte am Ende nur noch für ein dünnes Blechdach, auf das nun laut der Regen prasselt, so dass man kaum das Wort des anderen versteht. Das Mobiliar besteht aus 30 Plastikstühlen, vor den Fenstern hängen bunte Stoffreste als Gardinen.
Ida begrüßt die Frauen in ihrer Sprache Kpelle und leitet die Diskussion. Nun ergreift Nancy Wiles das Wort, 45 Jahre alt, von Beruf Schneiderin und Verkäuferin von Fisch und Reis:
"So wahr ich hier vor Euch stehe, ich habe diese ganze Sache mit der männlichen Führerschaft satt! Die Männer richten das ganze Land nach ihrem Willen aus, so als ob es ihnen allein gehört – ich kann es nicht mehr mit ansehen!
Der ganze Krieg wurde doch nur von Männern geplant. Frauen gebären Kinder und haben Mitgefühl für andere Menschen. Sie planen keinen Aufstand, noch führen sie Krieg oder töten ihre eigenen Kinder."
Wenn in Monrovia die Präsidentin mit ihrer Sicherheitskolonne durch die Stadt fährt, werden die Straßen geräumt. Vorne fährt ein ziviles Fahrzeug mit einem Lautsprecher auf dem Dach und bittet die anderen Autofahrer an der Seite anzuhalten. Kurz danach rast ein Jeep mit schwer bewaffneten UN-Soldaten vorbei, und dann erst kommt der schwarze Mercedes mit der Präsidentin. Was denkt sie, wenn sie durch "ihr" Monrovia fährt?
"Ich denke an den schwierigen Wandel, ich denke an die Tausenden von Menschen, die wegen des Krieges ihre Dörfer verlassen mussten und immer noch nicht zurückkehren können, weil es keine Jobs und keine Grundversorgung gibt.
Ich werde sehr traurig, wenn ich an das frühere Monrovia denke und es heute sehe. Glauben Sie mir, obwohl die Straßen für mich geräumt werden, sehe ich immer noch das, was ganz normale Leute auch sehen. Ich sehe die Leute, die zum Überleben alle möglichen Waren auf den Bürgersteigen anbieten; ich sehe die Folgen des Krieges, die zerstörten Gebäude, die noch nicht repariert werden konnten, weil unsere Geldmittel nicht reichen und wir so viele Prioritäten gleichzeitig haben."
Die zuerst so unnahbar wirkende Präsidentin zeigt Gefühle. Wie ein Schutzschild trägt sie manchmal ihre Härte zur Schau. Das Gesprächsklima, das am Anfang eher kühl, sachlich und etwas steif war, hat sich aufgelockert. Wer ist sie denn nun: die "Eiserne Lady" oder die "Ma Ellen"?
"Ja, sie geben beide Seiten meiner Persönlichkeit wieder: Fiskale Disziplin, die immer mit meiner beruflichen Karriere in Verbindung gebracht wurde. Da kommt der Spitzname der "Eisernen Lady" her – nicht, dass ich Knochen brechen kann – aber dass ich, mit finanziellen Unregelmäßigkeiten konfrontiert, sehr harte Entscheidungen treffen kann; mutige Entscheidungen, auch wenn sie nicht populär sind.
Mit meinem anderen Spitznamen "Ma Ellen" wird die großmütterliche Seite von mir angesprochen, die Sensibilität, die eine Frau in einer so verantwortungsvollen Position mitbringt. Diesen Namen möchte ich genauso wenig verlieren. Wenn ich unters Volk gehe, nennen mich die jungen Leute "Ma Ellen" oder "Grandma". So kann ich sie erreichen und ihnen zu verstehen geben, dass auch sie wichtig sind und dass sie vor jemandem in einer hohen Position keine Angst zu haben brauchen. "
Die Rolle der "Eisernen Lady" kommt aber ganz bestimmt zum Zuge, wenn es um den Kampf gegen die allgegenwärtige Korruption im Land geht. Zu Beginn ihrer Amtszeit rief sie mit viel Nachdruck eine "Null Toleranz"-Politik aus; unzählige Kampagnen sollten den Bürgern die verheerenden Konsequenzen eines korrupten Systems vor Augen führen.
Wieder in Palala. Ida muss der Dorfchefin vom Nachbardorf Beneta einen Besuch abstatten. Sie wollen darüber diskutieren, wie man mit der aufmüpfigen Dorfjugend umgehen soll. In Beneta sind die Frauen einen etwas anderen Weg gegangen; anstatt erst einmal eine straff organisierte Frauengruppe zu gründen und eine Chefin zu wählen, die dann mit mehr Gewicht dem Dorfchef und dem Ältestenrat entgegentreten kann, haben die Frauen in Beneta direkt eine Frau an die Spitze des Dorfes gesetzt.
Die Chefin arbeitet gerade auf ihrem Reisfeld und bittet um etwas Geduld. Das halbe Dorf ist gekommen, um Ida zu begrüßen. Der Anblick ist desolat: Die Lehmhäuser sind durch die Regenzeit schwer beschädigt, viele der Strohdächer sind undicht geworden. Wie überall in den ländlichen Gebieten Liberias gibt es keinen Strom und nur einen Brunnen. Die Kinder laufen in Fetzen gekleidet zwischen den Hühnern und Ziegen herum. Bango Dolo, die Chefin von Beneta, ist von ihrer Feldarbeit heimgekehrt und bittet die Besucher, auf ihrer Holzbank Platz zu nehmen:
"Die Männer haben von ganz alleine eingesehen, dass wir Frauen besser verhandeln können. Während des Krieges mussten wir die Wunden all der Verletzten heilen, jetzt müssen wir uns um die Geschicke des Dorfes kümmern. Der Krieg hat die Rollen von Mann und Frau stark verändert. Früher saßen die Männer alleine in der Palaver-Hütte und trafen alle Entscheidungen; jetzt entscheiden Männer und Frauen gemeinsam."
Die anwesenden Männer nicken zustimmend. Ida scheint den Eindruck zu haben, dass der Werdegang ihrer Frauenbewegung auf diese Weise doch etwas zu harmonisch dargestellt wird, und erzählt zur Belustigung der vielen Zuhörer, wie die anfängliche Reaktion von 99 Prozent der Männer war:
"Die meisten von ihnen fühlten sich bedroht. Einerseits hatten sie Angst um ihre Macht, andererseits waren sie eifersüchtig. Einer von ihnen sagte auf einer Versammlung: "Ich bekenne ganz offen, dass ich am Anfang glaubte, diese Frauengruppe sei nur zum Flirten da, Spielchen im Dunkeln, Treffen mit Liebhabern und solche Sachen. Aber mittlerweile habe ich die gemeinnützige Arbeit von Euch schätzen gelernt. Von heute an möchten meine Frau und ich Mitglieder Eurer Gruppe werden. Wenn Ihr hier in unserem Dorf ein Büro aufmacht, werde ich zur Feier ein Tier schlachten und es zubereiten, damit alle zu essen haben.""
Es ist früher Abend geworden, als Ida wieder zu Hause ankommt. Die Hausfrauen- und Mutterpflichten warten auf sie; Schulsachen der Kinder überprüfen, Wäsche waschen, Abendessen vorbereiten. Aber bevor sie sich in den häuslichen Alltag stürzt, möchte sie zu der Dorfchefin von Beneta noch ein paar abschließende Worte sagen. Denn Bango Dolo habe bewiesen, dass politische Entscheidungsprozesse unter der Führung von Frauen ganz anders aussehen:
"Vor einiger Zeit besuchte ich Beneta mit dem Senator, der als Geschenk eine Trinkwasserpumpe mitbrachte. Wir trafen die Dorfchefin. Und was tat sie? Sie berief eine Versammlung ein, in der Männer, Frauen, die Jugend und die Alten anwesend waren. Sie diskutierten über einen geeigneten Ort für die Pumpe. Alle waren an der Entscheidungsfindung beteiligt. Die Männer sagten, sie würden das Loch für den Brunnen graben, die Frauen boten an, den nötigen Sand und Steine zusammenzutragen, und die Jugend würde beiden Gruppen helfen. Die Dorfchefin gab nicht einfach Befehle, sondern jeder sagte freiwillig, was er am Besten machen konnte. Diejenigen, die von den Entscheidungen betroffen sind, sollten auch diejenigen sein, die sie treffen. "
Über die Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf sagen alle, die sie kennen, dass sie gut zuhören kann. Nicht nur ihrem Berater oder ihren Ministern, sondern ebenso den Marktfrauen und jetzt arbeitslosen ehemaligen Kindersoldaten. Neben Kabinettssitzungen, Staatsbesuchen und Empfängen geht sie regelmäßig zu ihren "town hall meetings", Bürgertreffen. Dort können ganz normale Leute "Ma Ellen" ihre Sorgen vortragen. Die Harvard-Absolventin kann auch die Sprache der weniger Gebildeten sprechen:
"Okay some of you can sit on here if it is closed to the market, but we are not going to allow people just crowd the street, cars can´t pass, people can´t pass, it´s not right to say: I will be the first one to put back my table there, let them catch me first!"
Ein Mal im Monat spricht die Präsidentin in einem Programm des Radiosenders der Vereinten Nationen mit der Bevölkerung – damit es alle verstehen auf Pidgin Englisch. Die Präsidentin versucht den Straßenverkäufern klar zu machen, dass sie zu den für sie bereitgestellten und gerade fertig renovierten Marktständen umziehen müssen.
Sie fordert außerdem die Menschen am Flussufer auf, die besetzten Gebäude zu räumen oder ihre Besitzurkunden vorzuzeigen, damit sie entschädigt werden können.
"There are certain places at the Mesurado River, they are turning it into one big sewer – hmmmm ... we are not going to allow that!"
Im ersten Regierungsjahr, wird mir erzählt, wäre die Präsidentin beinahe von einer wütenden Menge arbeitsloser Ex-Kämpfer angegriffen worden. Die Männer hätten sich in Scharen vor dem Präsidentenamt versammelt und ihre ausstehenden Pensionszahlungen verlangt. Die Stimmung war explosiv. Gegen alle Ratschläge der Sicherheitsberater, sei die Präsidentin der aufgebrachten Menge entgegen gegangen und habe nach ihrem Anführer gefragt. Wie eine strenge Mutter ermahnte sie die Soldaten, dass sie immer zum Verhandeln bereit sei, aber die erneuten Kriegsdrohungen der Soldaten müssten sofort unterbleiben. Mit gesenktem Kopf versprachen die Protestierenden, friedlich zu bleiben. Noch am selben Nachmittag handelte die Präsidentin mit Repräsentanten der ehemaligen Kämpfer eine Kompromisslösung aus.
Haben Frauen von Natur aus diese Begabung zuzuhören, auf andere einzugehen, Kompromisse zu finden?
"Ich glaube wirklich, dass es mit den Genen einer Frau zu tun hat. Biologisch gesehen sind wir nun einmal Mütter, da muss etwas sein, was einer Frau mehr Anteilnahme am Los der Menschheit mitgegeben hat; eine Neigung, sich um andere zu kümmern.
Natürlich verändern und verhärten Lebensumstände und Erziehung die Eigenschaften einer Frau. Aber ich glaube, dass in jeder Frau dieses Element der Fürsorge steckt. Wir können dieses Element unterdrücken, wenn wir mächtig werden und mit Gewalt regieren wollen – auch solche Beispiele sind in der Geschichte zu finden. "
Damit begibt sich die Präsidentin geradewegs in die heikle Diskussion, ob der Mensch nur von Erziehung und Umwelt geformt wird – oder eben auch von den Genen. Gibt es so etwas wie die "typisch weibliche Natur"?
Ellen Johnson-Sirleaf will sich gar nicht zu dieser Diskussion äußern, sie findet sie schlicht unnütz. Für sie hat die Natur Männer und Frauen mit unterschiedlichen Neigungen und Talenten ausgestattet, aber nicht etwa so, dass Frauen für Führungspositionen nicht geeignet seien.
"Jede Frau, die hier einen wichtigen Posten besetzt, hat es verdient – durch ihre Qualifikation, Kompetenz und Leistung. Sie sitzen nicht auf diesen Posten, weil sie Frauen sind. Sie haben die Männer stellenweise an Leistung übertroffen. Die Männer können sich also nicht beschweren.
Und ich suche zurzeit sogar noch mehr Frauen für hohe Regierungsposten, weil Frauen arbeiten mehr und besser. Wenn ich also Frauen mit der nötigen Kompetenz und Qualifizierung finde, dann habe ich vielleicht eine minimale Präferenz gegenüber unserem Geschlecht.
Ich habe es noch nicht geschafft, 50 Prozent meines Kabinetts mit Frauen zu besetzen. Wenn ich die richtigen Frauen dazu finde, dann werde ich es tun!"
Sechs Uhr dreißig in Palala. Die Frauen in Afrika stehen meistens schon mit dem ersten Tageslicht auf, das sie auch aus Gründen des Energie-Sparens ausnutzen wollen. Ida hat bereits das Wasser aufgesetzt, um für Mann und Kinder das Frühstück zu machen.
Heute will sie eine ganz besondere Person besuchen: Nowai Gbarnjah hat sich als Kandidatin für das Amt des "Paramount Chief" des Kpaai-Distrikts aufstellen lassen. Der "Paramount Chief" ist der Chef von 55 Dorf-Chiefs. Bisher waren diese Ämter vererbbar, nun sollen in den nächsten Monaten in Liberia zum ersten Mal Kommunalwahlen stattfinden.
Das Dorf Banjata liegt ungefähr 40 Kilometer von Palala entfernt. Nowai Gbarnjah, die Paramount-Chief-Kandidatin, freut sich sichtlich, ihr bestimmt um 15 Jahre jüngeres Vorbild Ida zu sehen. Das Dorf liegt etwas erhöht an einer Straße, ein schlammiger Weg führt hinauf zu Nowais kleinem Lehmhaus.
"In den letzten Monaten sind immer mehr Dorfbewohner zu mir gekommen und haben gesagt: "Wenn Frauen in Führungspositionen sind, dann konsultieren sie die anderen und entscheiden nicht einfach allein." Unter denjenigen, die mich dann als Paramount Chief vorschlugen, waren übrigens besonders viele Männer.
Meine Ziele sind folgende: Erstens soll hier Frieden herrschen und zweitens brauchen wir ein Gymnasium für unseren Distrikt, weil die Menschen kein Geld haben, ihre Kinder in die nächste - 70 Kilometer entfernte - größere Stadt zu schicken."
Die Kinder von Nowai unterbrechen das Gespräch und servieren gekochten Reis, Kürbis und Fisch. Während des Essens macht Nowai Witze, sie hätte jetzt für Aufgaben wie das Kochen keine Zeit mehr. Sie sei jetzt Politikerin, und habe die häuslichen Aufgaben an ihre schon erwachsenen Kinder delegiert. Ihre Handtasche ist schon gepackt, weil sie zu einer Versammlung in die nächst größere Stadt fahren wird. Nowai macht keinen Hehl daraus: Sie will nach oben, in die politische Chefetage.
Nach dem Besuch bei der Paramount-Chief-Kandidatin geht es zur letzten Station von Idas Erkundungsreise: Suwinta mit ungefähr 2000 Einwohnern. Die Frauengruppe diese Dorfes ist besonders aktiv in Idas "Kpaai Women Development Association". Sie haben sich voll und ganz der Erwachsenenbildung verschrieben und eine Schule mit mehreren Klassenzimmern gebaut.
In einem bescheidenen Versammlungshaus haben sich ungefähr 40 Frauen eingefunden. Vorne hängt eine Tafel an der Wand, davor steht ein Pult mit drei Holzstühlen, und im hinteren Teil stehen Holzbänke fürs Publikum. Zur Begrüßung wird erstmal gesungen und getanzt. Ida hält eine Rede, dankt den Frauen, dass manche von ihnen den stundenlangen Fußmarsch auf sich genommen haben, und beginnt mit dem Gebet.
Dann tritt Rebecca Flomo aus der Menge hervor. Eine kleine, zierliche Frau von 57 Jahren, bekleidet mit einem bunten Batikstoff, den sie als Wickelkleid trägt. Sie ist "Clan leader", das heißt, dass sie für die Frauengruppen von drei bis vier Dörfern spricht. Sie wendet sich dem Publikum zu und beginnt eine flammende Rede:
"Die Zeit der Frauen ist gekommen; kein Mann soll jemals wieder den Kopf seiner Frau unter seine Achselhöhle klemmen, damit sie nicht sprechen kann. Jetzt gehen wir aufrecht! Unsere Köpfe sind oben, und wir kämpfen für unsere Rechte!"
Besonders bei den Diskussionen über das neue Eigentumsgesetz ging es ziemlich hoch her, erinnert sich Ida:
"Das sind gute neue Entwicklungen! Früher galten Frauen als Eigentum des Mannes. Man kann aber nicht Eigentum sein und gleichzeitig Eigentum haben!
Mit dem neuen Gesetz erlangt die Frau bei der Heirat ein Drittel des gemeinsamen Besitzes. Und sie kann unter ihrem eigenen Namen weiteres Eigentum erwerben. Das Gesetz verbietet außerdem die Zwangsheirat. Wir haben heute das Recht, unseren Ehemann selbst auszuwählen. Wenn wir nicht einverstanden sind, kann uns keiner zwingen.
Das ist ein ernsthaftes Problem. Während des Krieges hat es so viele Vergewaltigungen gegeben, aber selbst heute ist das noch ein Problem. Jetzt gibt es wenigstens ein Gesetz, das Vergewaltigung unter Strafe stellt: Du kommst vors Gericht, und wenn du für schuldig erklärt wirst, musst du ins Gefängnis. Wir versuchen auch ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Vergewaltigungsfälle nicht wie eine kleine Familienstreitigkeit behandelt werden, und dass sich die Opfer nicht schämen sollten, es zu denunzieren. Wir sagen unseren Frauen, dass sie sofort zur Polizei gehen sollen und wenn es keine Polizei gibt, dann zum Dorfchef. Der Dorfchef soll uns rufen, und wir kümmern uns darum, dass die Sache vors Gericht kommt. "
Selbst auf den Gesichtern der engagierten Frauengruppe von Suwinta zeigt sich ein Hauch von Scham, wenn dieses Thema angesprochen wird. Aber als Sarah Nyanfakollie vor die Frauen tritt - eine kräftige, kompakte Person mit resolutem Gesichtsausdruck – ist das Gefühl schon wieder verflogen. Sarah Nyanfakollie ist die Leiterin des Alphabetisierungsprogramms, für das Suwinta über die Dorfgrenzen hinaus bekannt ist.
"Männer dürfen auch zum Unterricht kommen, aber das Problem ist, dass sie nach kurzer Zeit wieder wegrennen. Es gibt viel mehr Frauen in den Alphabetisierungsklassen. Sie können sich besser ausdrücken, besser verständlich machen. Die Männer fühlen sich unsicher und kommen schließlich nicht mehr zum Unterricht. "
Nach einiger Zeit sei man also wieder unter sich, sagt Sarah Nyanfakollie nicht besonders erschüttert. Ganz wichtig sei noch ein anderer Unterrichtsstoff: vor Publikum eine Rede zu halten. Sarah rät: Wenn Dorfversammlungen einberufen werden, sollen die Frauen daran teilnehmen und sich Gehör verschaffen.
Zur Belustigung der Frauenrunde erzählt Sarah abschließend, warum die Männer manchmal so gereizt auf ihre Bildungsarbeit reagierten:
"Sie sagen: "Du versuchst, die Augen meiner Frau zu öffnen? So dass sie einen Brief schreiben kann? So dass sie ihn lesen kann? Oh nein, dann kann ich nicht mehr die Briefe meiner Freundin im Haus rum liegen lassen!"
Und tatsächlich: Die Augen der Frauen öffnen sich immer mehr. Wenn jetzt die Ehefrau einen Brief der Geliebten ihres Mannes entdeckt, öffnet sie ihn und bring ihn mit ins Klassenzimmer. Dann wird er laut vorgelesen. Deshalb haben die Männer Angst, dass sich die Augen ihrer Frauen öffnen. "
Die Stimmung wird immer besser. Im hinteren Teil der Versammlungshalle entsteht ein lautes Getuschel, eine Gruppe von Frauen zeigt auf Joseph Ndi Mulbah, den einzigen Mann in der Halle. Er wolle auch etwas sagen, rufen die Frauen. Joseph Ndi Mulbah kommt nach vorne und stellt sich stolz als der Sekretär der Frauengruppe von Suwinta vor.
"Ich begleite sie auf all ihren Reisen. Ich mache auch die Planung der Reisen. Auf den Sitzungen führe ich Protokoll. Ich lese die Tagesordnung vor und notiere unsere Beschlüsse und die Punkte, die noch weiter diskutiert werden müssen. Ich begleite sie überall hin, weil ich sie vor Gefahren bewahren will."
Joseph Ndi Mulbah ist ein freundlich wirkender Mann in den Vierzigern. Klein und auch ziemlich schmächtig, hat er sich für den heutigen Tag herausgeputzt, weißes Hemd und schwarze Hose. Die Clan-Chefin Rebecca und die Lehrerin Sarah preisen die Qualitäten ihres verlässlichen Sekretärs. Sarah erzählt, dass die Männer aus dem Dorf das Gerücht in die Welt gestreut hätten, Joseph würde nur mit den Frauen arbeiten, weil er hinter ihnen her sei.
"Die Männer machen sich über mich lustig, aber ich sage ihnen bloß: Ich arbeite lieber mit Frauen als mit Männern zusammen. Ich habe so viel von ihnen gelernt. Durch die Reisen in die umliegenden Dörfer habe ich das Land kennengelernt. Und die Männer? Sie trinken und trinken ihren Palmwein – können nicht aufhören. Um zwei Uhr mittags sind sie alle voll.
Es ist nicht einfach, eine Männergruppe zu organisieren. Frauen haben ein viel besseres Gemeinschaftsgefühl. Wir diskutieren, besuchen andere Dörfer, lernen die Standpunkte der anderen kennen und reisen zusammen zurück in unser Dorf. Frauen halten immer zusammen, deshalb liebe ich es, mit ihnen zusammen zu sein."
Nach einem langen Tag ist Ida wieder zu Hause; an der Kochstelle auf kleinen Holzstühlen sitzend, resümiert sie für ihren Mann die Besuche in Banjata und Suwinta. Es hat sich viel getan in den letzten fünf Jahren, auch wenn Ida nicht für ganz Liberia sprechen kann, sondern nur für ihre 48 Dörfer im Kpaai-Bezirk.
So zynisch es klingen mag, aber der bis 2003 herrschende Bürgerkrieg hat dazu beigetragen, dass die traditionelle Geschlechterhierarchie ins Wanken geraten ist. Frauen hatten während des Krieges die Rolle der Ernährerin, der Beschützerin und wegen der Abwesenheit oder dem Tod des Mannes auch die Rolle des Familienoberhauptes. Nach dem Krieg war die Uhr nicht mehr zurückzudrehen; Frauen begannen, endlich auch ihre politischen Rechte einzufordern. Als dann im November 2005 erstmalig eine Frau als Siegerin aus den Präsidentschaftswahlen hervorging und eine so frauenfreundliche Reformpolitik in Gang setzte, feierten die Liberianerinnen den Beginn einer neuen Ära.
Die Präsidentin ist am Ende unseres Gesprächs eher "Ma Ellen” als "Iron Lady”. Die Zeichen des Protokollchefs, dass nun aber wirklich die Interviewzeit abgelaufen sei, übersieht sie geflissentlich.
Ellen Johnson-Sirleaf redet gerade darüber, dass es viel zu lange dauert, bis Frauen auch in die Männerberufe kommen - Ingenieurinnen und Ärztinnen werden. Es gäbe immer noch viel zu viele soziale Barrieren für Frauen:
"Selbst wenn ich zu afrikanischen Staatstreffen gehe, kann ich nicht einfach mit meinen rein männlichen Kollegen in die Bars einen trinken gehen! Ich mache also das formale Programm und gehe zu meinen Arbeitstreffen. Die Jungens dort akzeptieren Dich vielleicht auf der professionellen Ebene, aber in ihre Freundesclique wirst Du nicht so schnell aufgenommen!"
Ja, wann geht sie eigentlich mal aus? Oft sieht man noch um 23 Uhr ihren Mercedes vor dem Außenministerium in Monrovia stehen; ihre ausufernden Arbeitszeiten sind berüchtigt; die engsten Arbeitskollegen stöhnen nicht selten über ihren Rhythmus.
"Ich möchte nicht länger die Einzige sein, die die Bestrebungen und Erwartungen aller afrikanischen Frauen repräsentiert. Ich möchte diese Verantwortung mit anderen Frauen teilen!
Aber da bin ich ganz zuversichtlich: Demokratie hat in Afrika solche Fortschritte gemacht, dass es in Kürze weibliche Kandidatinnen fürs höchste Amt geben wird. Und es ist höchste Zeit. Frauen haben es verdient!"
"Das ist wie: Raupe verwandelt sich in Schmetterling. Die Männer hielten uns früher für Raupen, behütet und eingeschlossen in einem Kokon, weit unter ihnen. Jetzt sind wir wunderschöne Schmetterlinge, fliegen über ihren Köpfen und verschönern die Umgebung!"
Ma Ellen räumt auf
Frauen-Macht in Liberia
Ein Feature von Bettina Ambach
Sie hörten eine Co-Produktion des Deutschlandfunks mit dem Westdeutschen Rundfunk 2008.
Es sprachen: Brigitte Göbel, Edda Fischer, Christel Körner, Claudia Mischke und Hans Bayer
Ton und Technik: Michael Morawietz und Andreas Räder
Regie: Peter Behrendsen
Redaktion: Karin Beindorff