Kunst und selbstgewählte Isolation

Hunger nach Einsamkeit

43:48 Minuten
Ruderboote liegen am 06.05.2015 am Ufer des Proweskesees im Landkreis Uckermarke nahe dem kleinen Dorf Hohenwalde (Brandenburg).
Rückzug gilt als Voraussetzung für kreatives Schaffen © picture alliance / ZB / Patrick Pleul
Von Gaby Hartel · 17.07.2020
Künstler brauchen Rückzugsräume – auch wenn ihnen das Leben in Isolation manchmal schwerfällt. Sie stehen damit in einer Tradition, in der Alleinsein als Voraussetzung für Produktivität gilt. Magne Furuholmen, Keyboarder der Band a-ha, die Künstlerin A K Dolven und die Choreografin Doris Ulrich erzählen davon.
Mai 2020. Seit Wochen steckt die Welt in der Corona-Starre fest und viele leiden unter den ungewohnten Kontaktbeschränkungen. Doch eine Gruppe kann der erzwungenen Isolation auch etwas Positives abgewinnen: die Kreativen. Sie kennen sich aus mit der Einsamkeit und brauchen sie, wie Magne Furuholmen, A K Dolven und Doris Uhlich im Gespräch mit der Reporterin erzählen. Im Osloer Tonstudio, der norwegischen Inselgruppe Lofoten und einem Haus mit Boot am österreichischen Attersee sind sie der ambivalenten Lust an der Einsamkeit auf der Spur.
Rückzug an den Ort der Kindheit
Die Tanzkünstlerin Doris Uhlich kehrt immer wieder an den Attersee in Österreich zurück. In ihrem Elternhaus findet sie nach getanen Projekten immer wieder zu sich selbst. In ihren Tanzstücken hat sie oft mit über hundert Tänzerinnen und Tänzern auf einmal zu tun. Oft sind die keine Profis und brauchen den hochintensiven Austausch mit der Künstlerin. Doris Uhlich liebt das, erzählt aber auch vom starken Bedürfnis, nach solchen Projekten ihre Wahrnehmung wieder nach Innen zu richten. Dies gelingt ihr auf Spaziergängen in der Gegend, die sie seit ihrer Kindheit kennt. Da muss sie keine neuen Eindrücke verdauen und der vertraute Umgang mit dem Ort, dem See und dem Wald ermöglicht ihr einen kreativen Rückzug.
Naturerfahrung als Vorbild nicht nostalgische Schwärmerei
Dramatische Veränderungen in der Landschaft, wie etwa nach einem Sturm, der viele Bäume umgeworfen hat, stimmen sie zwar traurig. Aber die Choreografin sieht auch, dass diese Eindrücke auf ihre künstlerische Arbeit übertragbar sind: "Letztendlich ist es Realität, dass man ständig konfrontiert wird mit Veränderungen, und diese einen natürlich herausfordern aber gleichzeitig einen auch in Hochsprünge und -leistungen auch versetzen können."
Die Choreografin Doris Uhlich
Die Choreografin Doris Uhlich kehrt immer wieder in ihre Heimat zurück© Elsa Okazaki
Nach einiger Zeit am Rückzugsort entsteht ein Sog der Einsamkeit. Dann verlässt Uhlich die Welt der Objekte und zieht sich in ihr Schlauchboot zurück. Umgeben von Wasser und Luft denkt sie nach und empfindet diesen melancholischen Zustand als produktiven, aktiven Stillstand.
Raus aus dem Schleudergang
Weiter geht die Erforschung der Einsamkeit, vom österreichischen See an den norwegischen Fjord in Oslo. Die Reporterin erreicht Magne Furuholmen im Tonstudio seines Privathauses. Der Texter und Keyborder der Popgruppe "a-ha" sollte eigentlich mit seiner Band auf Welttournee sein. Aber die wurde wegen der Pandemie abgesagt und so erlebt er, der auch als bildender Künstler gefragt ist, eine Ruhephase wie nie zuvor. "Ehrlich gesagt kommt es mir so vor, als hätte ich schon seit Jahren social distancing betrieben und könnte das jetzt endlich mal voll ausleben", erzählt er. Wohlwissend, dass er sich in einer priviligierten Situation befindet und viele Menschen unter der sozialen Isolation leiden.
A-ha bei einem Konzert im Jahr 2010
A-ha bei einem Konzert im Jahr 2010© AFP/Scanpix/Lise Aserud
Auch er kennt schmerzhafte, nicht selbst gewählte Momente der Einsamkeit, doch haben die sich im Nachhinein oft als fruchtbar erwiesen. Selbst auf der Bühne, vor Tausenden Fans, verschafft ihm die Musik oft einen inneren Rückzugsraum. Das empfindet Magne Furuholmen ebenfalls als Privileg, seit er mit Anfang zwanzig neben dem Glück auch dem Schock des großen Erfolgs seiner Band ausgesetzt war und sich wie "im Schleudergang einer Waschmaschine" fühlte.
Endlich nichts tun
Magne Furuholmen hat die Corona-Pandemie bisher beobachtet, nicht künstlerisch kommentiert und freut sich, dass ihm die Umstände diese Möglichkeit eröffnen. Für uns liest er eines seiner Gedichte mit dem Titel "redux", das auch als Kommentar zur heutigen Zeit verstanden werden kann.
Natur und Skizzenbuch als Begleiter
Der letzte Anruf führt uns quer über den Fjord in den Osloer Stadtteil Eckeberg. Auf einem Hügel mit Blick über das Wasser und einen Teil der Stadt wohnt A K Dolven. Sie ist eine der wichtigsten Künstlerinnen Norwegens. Charakteristisch für ihr Schaffen ist die Vielfalt der von ihr verwendeten Materialien und Medien. Sie verdichtet Natur- und Lebenserfahrung mal in Installationen, die ganze Räume füllen, oder in abstrakten Ölbildern, Filmen und Sound-Skulpturen.
A K Dolven bei der Arbeit auf den Lofoten
A K Dolven bei der Arbeit auf den Lofoten © A K Dolven
A K Dolven braucht den leeren Raum, in dem sie allein sein kann mit ihrem Atem, ihren Schritten, ihren Gedanken. Das Gefühl der Langeweile ist ihr fremd, denn sie steht in ständigem Austausch den Materialien in ihrem Atelier oder der freien Natur auf den Inselgruppe Lofoten, wohin sie sich oft zurückzieht: "Mein Studio ist nicht nur dieses Haus, mein Studio ist auch dieses Echo oben in den Bergen. Oder du möchtest einen Blick finden über dem Horizont und beim Laufen entdeckst du auch etwas."
Aber selbst auf den Lofoten fühlt sich die Künstlerin nie allein. Schließlich wird sie immer von ihrem Notizbuch begleitet. Mit dem führt sie seit Jahrzehnten ein produktives Zwiegespräch, probiert Ideen aus, beschäftigt sich mit der Außenwelt. Denn: "Innen und Außen sind eins", wie A K Dolven aus einer Eintragung vorliest.
Die kreative Isolation hat eine lange Tradition
Mit dem künstlerischen Rückzug als Jahrtausende alte Kulturtechnik befasst sich der Philosoph Thomas Macho schon lange. Er entwickelt anhand von Beispielen aus der Antike, der frühen Neuzeit und dem Barock die These, dass Einsamkeit und Melancholie durchaus einmal wünschenswerte Zustände waren, die mit Selbstbestimmung assoziiert wurden. Deshalb plädiert er dafür, auch in Zeiten der erzwungenen Isolation nicht nur die negativen Seiten der Einsamkeit zu betrachten: "Es ist auch ganz wichtig, gelegentlich mal zu dem Diskurs um das Leiden und den Schmerz der Einsamkeit einen anderen zu führen – Einsamkeit als eine Art von Technik, als ein Versuch, mit sich selbst zusammen zu sein." Natürlich, so betont er, sei es aber viel leichter, die Einsiedelei zu genießen, wenn sie selbstgewählt ist und nicht von äußeren Umständen aufoktroyiert.
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