Kulturschaffende und Politik erfinden den Ebertplatz neu

Aus Angst wird Begegnung

43:50 Minuten
Der Kölner Ebertplatz im Sommer
Der Ebertplatz im Sommer © Deutschlandradio/Nadja Baschek
Von Nadja Bascheck |
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Auf dem Kölner Ebertplatz kommen alle zusammen: Drogendealer und spielende Kinder, Obdachlose, Anwohner und feiernde Studierende. Der Platz galt lange als Kriminalitätshotspot. Doch jetzt passiert was: Die Umgestaltung ist ein langwieriges Projekt, das nicht immer reibungslos verläuft.
Eine kleine Gruppe von Anwohnerinnen und Anwohnern trifft sich auf dem Ebertplatz. In den Händen halten sie Plastiksäcke und Gießkannen, über ihren T-Shirts tragen sie leuchtende Westen – "AG Begrünung" steht darauf. Es ist ein sommerlicher Tag an dem ehrenamtlich neue Pflanzen eingesetzt und Zigarettenstummel aufgesammelt werden sollen. Aber auf den Holzdecks, in deren Mitte die Pflanzen wachsen, sitzen junge Leute. Sie hören laute Musik, trinken, tanzen, rauchen und zeigen kaum Interesse an der Verschönerungsaktion.
"Helft uns doch ein bisschen", fordert Anwohnerin Ruth Wennemar sie auf. Ein junger Mann beginnt tatsächlich Zigarettenstummel aufzusammeln, die anderen kümmern sich nicht weiter. Die Vorstellungen, wie der Ebertplatz wahrgenommen und genutzt werden sollte, gehen offensichtlich auseinander. Ruth Wennemar meint trotzdem: Das gemeinsame Kümmern hilft, den ehemaligen "Unort" zu einem Ort des Miteinanders zu machen.
Ruth Wennemar und Jürgen Häns_"Unser Ebertplatz_AG Begrünung"
Ruth Wennemar und Jürgen Häns "Unser Ebertplatz AG Begrünung"© Deutschlandradio / Bascheck

Verkehrsinsel mit vielen dunklen Ecken

Der Ebertplatz im Kölner Norden ist ein großer Verkehrsknotenpunkt mit unterirdischer U-Bahn-Station auf der einen Seite, Ladenpassagen auf der anderen und mehreren Straßen, die außen herum führen. Er ist im brutalistischen Waschbeton-Stil der 1970er-Jahre gebaut, verwinkelt, geduckt und liegt einige Meter unter dem Niveau der Straßen und Wohnhäuser, abgeschirmt durch Bäume und kleine Rasenflächen. Über Rampen und Steintreppen kommt man auf den Platz. Früher auch über Rolltreppen, aber die meisten sind schon lange defekt.
Im März, als es weniger belebt und die Luft noch kühl und feucht ist, arbeiten Handwerker an einer der Rolltreppen, die in eine unterirdische Passage führt. Sie hämmern und bohren. Aber sie reparieren nicht, sondern gestalten um. Stück für Stück, Platte für Platte, entsteht eine Rutsche auf den massiven Treppenstufen.

Mariendom in Neviges - Beten im Brutalismus
Die Wallfahrtskirche in Velbert-Neviges kann man lieben oder hassen. Nur ignorieren kann man sie nicht. Der brutalistische Betonbau des Architekten Gottfried Böhm lässt viele Interpretationen zu.

Der kristallin geformte Nevigeser Wallfahrtsdom in Neviges, ein Bau mit viel Beton.
© Picture Alliance / dpa / Horst Ossinger
Die Rutsche ist ein Kunstprojekt, das genau wie das Engagement der "AG Begrünung" Teil einer größeren städtischen Strategie ist: Der einst unbeliebte und schroff wirkende Platz soll zu einem Begegnungsort werden. Lange Zeit hielten Kriminalität, Alkohol- und Drogenkonsum die Kölner Bürgerinnen davon ab, auf dem Platz zu verweilen. Die Stadtverwaltung schob die Umgestaltung auf, überließ den Ebertplatz sich selbst. 2017 schließlich starb ein Mann bei einer Auseinandersetzung auf dem Platz. Zwei Jahre später ein weiterer Todesfall. Die Taten hatten Signalwirkung, die Stadt wollte schnell reagieren und die dunklen Passagen zuschütten, um so die Kriminellen zu vertreiben – doch da machten Kunstschaffende und Anwohner nicht mit.

Kultur soll den Platz wiederbeleben

Denn zwischenzeitlich hatten sich einige Galerien in den leeren Ladenlokalen am Ebertplatz angesiedelt – "Gold und Beton", "Labor", "Mouches Volantes" und "Gemeinde" heißen die vier Räume. Unter dem Titel "Unser Ebertplatz" sorgen Kulturveranstaltungen, ein Kiosk und neuen Sitzmöglichkeiten außerdem für frischen Wind und neue Leute auf dem Platz. Das Geld kommt von der Stadt – das Engagement von den Anwohnern und Kulturschaffenden. Seit 2018 sprudelt auch der meterhohe begehbare Brunnen wieder und lockt an heißen Tagen viele Familien an. Soziale Kontrolle soll neben Kameraüberwachung und Polizeipräsenz die Kriminalität eindämmen.
Wegen der Corona-Pandemie ist es aber auch auf dem Ebertplatz stiller geworden. Umso größer ist die Aufregung und die Vorfreude, als es im Juni 2021 wieder losgeht. Die Künstlerin Christi Knak bohrt ein Loch in die dicke Wand des "Gold und Beton", während Marc Müller im "Labor" seine virtuelle Installation mit VR-Brille testet. Am Abend kommen viele junge, kunstinteressierte Leute aus der Umgebung zur Ausstellungseröffnung, stoßen mit Bier und Mate an, quatschen und schlendern durch die Galerien. Der Ebertplatz ist auch ein Szenetreffpunkt für Kunstinteressierte.
Ebertplatz - Eröffnungswochenende im Juni
Ebertplatz - Eröffnungswochenende im Juni© Deutschlandradio / Bascheck

Umgestaltung – ein gemeinsamer Prozess

Die Kunstschaffenden und Anwohnerinnen sind sich deshalb einig: Dieser Ort, einer von wenigen unkommerziellen Freiräumen für Kunst und Kultur in Köln, soll erhalten bleiben. Zuschütten und neu machen ist für sie keine Alternative. Sie bringen ihre Ansichten in den Umgestaltungsprozess mit ein, wollen mitreden und scheuen nicht vor Auseinandersetzungen mit der Stadtverwaltung zurück.
Meryem Erkus, die das "Gold & Beton" leitet, spricht von einer Pflicht dem Ort gegenüber. Dass der Ebertplatz zum Politikum geworden sei, hätten sie sich nicht ausgesucht und nun sei es unvermeidbar, sich dafür einzusetzen. Ihr Kollege Marc Müller betont: "Wir halten durch und machen immer weiter, weil wir mit allem, was wir können und wollen, dabei sind."
Die Diskussionen um den Platz können anstrengend sein, meint auch der Dezernent für Stadtentwicklung, Markus Greitemann. Aber sie seien meistens respektvoll und er habe das Mitsprachebedürfnis der Zivilgesellschaft zu schätzen gelernt. Dennoch glaubt er nicht, dass alle zufrieden gestellt werden können, wenn im nächsten Jahr der Umbau oder die Neugestaltung eingeleitet werden wird.

Stadt als Baustelle begreifen

"Kollaborative Stadtentwicklung" nennt Agnes Förster diesen Aushandlungsprozess. Sie ist Architektin und Professorin für Stadtentwicklung an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen (RWTH). Sie meint, dass Städte, in denen Akteure und Akteurinnen verschiedener Sparten gut miteinander vernetzt sind und zusammenarbeiten, resilienter seien, weil sie nachhaltigere Lösungen fänden. Das habe sich besonders in der pandemischen Krisensituation gezeigt. Doch mit freiwilligem Engagement allein kann das nicht funktionieren: "Man kann damit rechnen, aber man darf nicht nur darauf setzen."
Eine Stadt solle immer auch eine Baustelle sein, meint Förster. Nicht unbedingt im Sinne der Großbaustellen, die jahrelang das Stadtbild prägen und die Bewohner ärgern, sondern metaphorisch gesprochen: Es gehe darum, einen Ort allmählich umzugestalten, zu improvisieren, kreativ zu sein und ihn sich so anzueignen.
Noch steckt der Ebertplatz in einer solchen Zwischenphase. Das langfristige Ziel ist nicht endgültig festgesteckt, der Platz ist "under construction" – eine Baustelle, ein Sozialexperiment und auch ein Spielplatz für die Stadtgesellschaft, was sich exemplarisch an der neuen Rolltreppen-Rutsche zeigt, die Kinder und Erwachsene gleichermaßen begeistert.
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