Kulturelles Feature

Die Freiheit in der Wildnis

Von Christian Linder |
Die meisten Menschen reisen dem Traum nach, irgendwo anzukommen, möglichst an einem sicheren Ort, wo sie zudem in Gesellschaft sind. Der Ort, den Alfred Andersch bei seinen Aufbrüchen in die Welt suchte, war die Wildnis, weil er nur dort sich allein und frei fühlen und an Gott und das Nichts denken konnte. Die Sehnsucht nach dieser Freiheit war für Andersch zu verwirklichen, indem man nicht gegen sein Schicksal kämpft, sondern sich aus dem Schicksal herausfallen lässt, um eine Sekunde lang diese Freiheit zu spüren - "ein paar Atemzüge lang, aber für sie leben wir".
Diesen Moment hat er schreibend zu fixieren versucht. Er hat Wege in die Wildnis ausgekundschaftet - in Reisebüchern wie "Hohe Breitengrade" oder "Wanderungen im Norden" oder auch in Erzählungen wie "Mein Verschwinden in Providence" und Romanen wie "Winterspelt" - und hat Nachrichten von der Grenze mitgeteilt. Christian Linder folgt Spuren Anderschs und zeigt, wie es ihm in seinen besten Reisebildern gelang, eine Phantasmagorie zu erzeugen, jenen Schwebezustand zwischen Abreise und Ankunft, Vergangenheit und Zukunft, Erinnern und Vergessen und dem Zustand des Wartens in der flirrenden Leere einer dünnen Gegenwart.

Produktion: Deutschlandfunk 2007