Das Gedicht lebt in den Zwischenräumen der Bilder
Seit jeher gibt es die Verwandtschaft zwischen Kunst und Poesie. Auch Dichter arbeiten mit Bildern. Aber was passiert eigentlich, wenn jemand sich hinsetzt und über die Form des Gedichts ein Gespräch mit einem Gemälde anfängt? Oft werden Gemälde aus der Distanz betrachtet, nüchtern, durchaus voll Interesse, doch scheinen sie nichts weiter auszulösen als die Anerkennung ihres künstlerischen Wertes. Und dabei enthält jedes Gemälde sein eigenes Gedicht, das nur darauf wartet, entziffert zu werden.
In Friederike Mayröckers Gedicht nach Lorenzo Lottos Gemälde "Mann mit der Tierpranke" wird der Tierkörper zum Moment, in dem jegliche Trennung von Kunst, Poesie, Leben und Tod aufgehoben ist. Nicht unbedingt auf der Oberfläche zeigt sich das Gedicht, sondern eher in den Zwischenräumen, von denen John Berger sagt, dass sie für Augenblicke Möglichkeiten des Sichtbaren aufscheinen lassen, die sonst dem Blick entzogen bleiben. Wenn Durs Grünbein ein Gedicht schreibt über Jacob von Ruisdael, dann entwickelt sich ein Gespräch über die Epochen hinweg mit den Zeitgenossen aus dem 17. Jahrhundert.