Hörspielpreis der ARD

Tower of Babel

Theaterregisseur Robert Wilson am 1. Dezember 2013 im Berliner Ensemble
Der amerikanische Theater- und Opernregisseur Robert Wilson gilt als Perfektionist. Hier 2013 am Berliner Ensemble. © dpa / picture alliance / Paul Zinken
19.11.2016
Die ARD Hörspieltage sind das größte Hörspielfestival Deutschlands - eines von zwölf Hörspielen erhält den Hörspielpreis der ARD. Dieses Jahr überzeugte Robert Wilson die Jury mit "Tower of Babel". Der US-Amerikaner ist einer der wichtigsten zeitgenössischen Theater- und Opernregisseure.
Von zwölf Hörspielen der ARD Hörspieltage standen am Schluss für die Jury drei Hörspiele zur Wahl: das gewaltige, surreal-düstere, seltsam aktuelle Gesellschaftstableau "Dshan" von Lothar Trolle (eine Produktion des SWR), das vielleicht aktuellste Hörspiel der Hörspieltage, das Hörspiel "Screener" des jungen Belgiers Lucas Derycke (eine Produktion des WDR), das uns zeigt, in welcher Hilflosigkeit wir leben, da wir unser eigenes Elend selbst produzieren; und als drittes Hörspiel "Tower of Babel" von Robert Wilson (eine Produktion des Hessischen Rudfunks mit BBC, NDR, rbb und SWR). In einer Abstimmung zwischen "Sceener" und "Tower of Babel" wählte die Jury mit 3:2 Stimmen das Hörspiel von Robert Wilson zum Hörspiel des Jahres.
Die Begründung der Jury:
"Sprachen, Stimmen, Töne und Geräusche – ein Menschenbild als Klangbild. Wilson zertrümmert es mit alttestamentarischen Wucht in seine kleinsten, semantischen Einheiten. Sie stehen zunächst so einzeln, bloßgestellt und unerlöst im Hörraum, dass ein einigendes Motiv oder auch nur der kleinste gemeinsame Nenner eine Gnade wäre. Wilson, so scheint es, löst die zehn Zeilen des Alten Testaments ein und illustriert sie: eins wird das andere nicht mehr verstehen, nie wieder. Mit Blick auf unsere soziale, politische Gegenwart wäre das sogar berechtigt, aber "Tower of Babel" wird nicht Schockbild eines Trümmerfeldes, sondern zu einer akustischen Spektralanalyse. Die Teile seiner Collage verhalten sich zum Ganzen nicht kalt summarisch, sondern wie die Organe zu einem Organismus. So besonders und beunruhigend sie im Einzelnen auch sind, sie fügen sich als Facette in die Vielfalt eines Großen und Ganzen. Mit nahezu allen Mitteln, die das moderne Hörspiel bietet, widerspricht Wilson dem biblischen Verdikt. Der Mensch der Gegenwart wird nicht mehr Mensch als Gleicher im Gleichen, sondern als je Besonderer unter Besonderen.
Das ist es, was uns eint; in dieser Dialektik finden wir zueinander und verstehen uns. Präzise und meisterlich ausgeführt im Detail, ohne jeden Behelf durch Meta-Ebene und didaktischen Kommentar – Robert Wilson schuf in nur siebzig Minuten einen monumentalen Beweis menschlichen Seins in all seinen Ausdrucksformen. Wir hören die Möglichkeiten des Menschen, präzise im Detail und in großer Form, archetypisch und zeitgenössisch. Ein Werk zur rechten Zeit: Es ruft unser Selbstbewusstsein wieder auf, ohne ideologisch zu appellieren. Es beruhigt, so paradox dies erscheinen mag, unsere Zweifel, indem es eindringlich die Gefahren zeigt, denen wir ausgesetzt sind, und es schenkt uns das zurück, was wir dieser Tage wohl am meisten benötigen: Mut. Ein großes Ganzes gelingt, weil Robert Wilson mit seinem Co-Regisseur Tilman Hecker sich mit großartigen Schauspielern, Musikern und Mitstreitern dazu verbindet."

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