Hörspielkritik

"Tell me something good, Stockhausen!“

11:59 Minuten
Portraits von/of Christian Wittmann & Georg Zeitblom aka wittmann/zeitblom Berlin Wedding, September 2018
Christian Wittmann & Georg Zeitblom © Martin Walz
Von Gaby Hartel · 31.03.2020
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"Digitale Gesänge" nennen Christian Wittmann und Georg Zeitblom ihr akustisches Spiel "Tell me something good, Stockhausen", das sich auf den großen Kölner Komponisten bezieht. Gaby Hartel über eine hyperreale Klangsynthese zur uns alle überfordernden Jetzzeit.
Hörspielausschnitt
Hart schlägt ein Ball auf einen harten Untergrund. Der Sound ist elektronisch verzerrt, was ihn noch kälter erscheinen lässt. Je nach Stimmungslage der Hörerin auch bedrohlich. Wie der akustische Schatten eines Projektils, das umso gefährlicher wirkt, als es von historischen Computergeräuschen und spacigen Klangflächen verschluckt wird.
Wenn man die ersten Minuten des Hörstücks spielerisch deuten darf – und das Verspielte ist im Werk der beiden Autoren ja kein Freundwort – dann nehmen sie hier einen Ball an, den Karlheinz Stockhausen ihnen vor 65 Jahren zugespielt hat.
Doch davon später.
Eine apokalyptische Reise in 12 Gesängen
Verstörend intensiv ist die Wirkung des neuen Hörspiel von Wittmann/zeitblom. Und das, obwohl der Titel eher etwas Beruhigendes zu versprechen schien: so etwas wie einen willkommenen Trost in diesen aufgewühlten Zeiten.
"Tell Me Something Good, Stockhausen" ist eine hoch verdichtete, apokalyptische Reise in 12 digitalen Gesängen, die von sirenenhaft verführerischen Automatenstimmen gesungen und performt werden.
Sie sind verwoben und eingeflochten in einen soghaft vorantreibenden Sound-/Musikteppich, und das Zusammenspiel aller Elemente ergibt eine überwältigende Welle, die mich als Hörerin verschlingt.
Das meine ich unbedingt positiv. Denn es geht den Machern dieses Stücks um nichts weniger als um die Erfahrung der uns alle überfordernden Jetztzeit – dargeboten in einer "hyperrealen Klangsynthese", wie es im Begleittext des Hörspiels zutreffend heißt.
Hörspielausschnitt
Warum wird Stockhausen im Titel des Hörspiels angerufen, er möge uns eine frohe Botschaft verkünden? Von Stockhausen, dem romantischen Pionier der elektronischen Musik, stammt ein epochemachendes Stück von 1956: "Gesang der Jünglinge im Feuerofen", kurz: "Gesang der Jünglinge". Es ist seine Vision von einer Erneuerung und Erweiterung der Musik und ihrer Erfahrung durch die bahnbrechende zeitgenössische Computertechnik.
Auf dieses legendäre Stück beziehen sich die Hörspielmacher.
Was genau Stockhausen sich von der elektronischen Musik erhoffte, kann man in einer wunderbaren Oxforder Lecture aus dem Jahr 1972 nachhören:
Ausschnitt Lecture
"New means change the method … New methods change the experience. New experiences changes man"
Im "Gesang der Jünglinge" erprobte Stockhausen das Verschmelzen der menschlichen Stimme mit elektronisch erzeugten Geräuschen. Auch wenn wir ihn nur in Bruchstücken hören, bleibt doch der glasklare Knabensopran des damals zwölfjährigen Josef Protschka gerade in seiner fragmentarischen Unterbrochenheit – nicht Gebrochenheit – die Ausdrucksignatur des Menschlichen. Und damit, in den Worten des Rundfunktheoretikers Rudolf Arnheims: "Der irdische Steckbrief des Menschen".
Mensch und Maschine im gleichwertigen Zwiegespräch
So entstand 1956 ein freundlicher, immens anrührender Dialog zwischen Natur und Technik in einem tiefen, dynamisch gestalteten akustischen Raum, der gerade im Radio so gut zur Geltung kommt, weil wir hier unmittelbare Sinneszeugen eines sich in der Zeit entfaltenden Klanggeschehens sind.
Und als Sinneszeugen werden wir ermächtigt zu aktiven Mitgestaltern des endgültigen Werks. In Stockhausens Experiment befinden sich Mensch und Maschine - also der Schöpfer und sein Geschöpf - nicht in einem Zweikampf sondern im gleichwertigen Zwiegespräch.
Die lustigen Blubbergeräusche der Maschine lösen geradezu Empathie aus, als sei sie ein Lebewesen, das seine ersten, unbeholfenen Kommunikationsversuche macht.
Ausschnitt "Gesang der Jünglinge"
Vielschichtige räumliche Kompositionen schrieb Karlheinz Stockhausen seiner elektronischen Musik zu.
Der kleine kulturhistorische Exkurs soll klar machen, dass ein Verdienst von Wittmann/zeitblom allein schon darin liegt, auf diese Geschichte der Maschinenmusik zu verweisen.
Es ist bei weitem nicht das einzige. Aber ein sehr großes, in einer Zeit, deren kollektives Gedächtnis über einen - ins Endlose aufgeblasenen, seriell sich wiederholenden Moment - nicht wirklich hinauszugehen scheint.
Ausdruck eines synthetischen ICHs
Die Künstler strukturieren ihr Werk aber nicht aus einer übergeordneten, wissenden Perspektive. Sie arbeiten mitten aus ihrem Stoff heraus. Ihre Protagonisten mit Namen ENHANCE und ALIZE singen, erzählen und erzeugen dabei fünfzig Minuten lang einen sich um sich selbst drehenden Status Quo.
War die zerlegte Knabenstimme bei Stockhausen noch Ausdruck des menschlichen Individuums und damit Signatur seiner Würde, seiner Verantwortung und seiner Fähigkeiten, so werden die elektronisch bearbeiteten Stimmen der SchauspielerInnen - wie auch die Worte, die sie sprechen - bei Wittmann/zeitblom zum Ausdruck eines synthetischen ICHs.
Hörspielausschnitt
Der Moment war für Stockhausen ein Gestaltungszeitraum, der in produktiver Permutation die Möglichkeit bot, Sein in der Zeit zu erfahren und zu gestalten.
Von diesem Zustand scheinen wir Schwarmintelligenzler und Soziale- Medien-Wesen weit entfernt zu sein. So liegt das Heilsversprechen unserer Zeit auch nicht mehr in der Tiefe des Augenblicks, sondern in einer wuchernden, expandierenden Oberfläche.
In ihrem Hörspiel setzen Wittmann/zeitblom uns dem Selbstversuch aus, aus dem überwältigenden Strom der Daten und der glatten Oberfläche von Information eine Erkenntnis zur generieren und vielleicht - zumindest augenblicksweise – einen Überblick zu erhalten.
Eine Schneise im Dickicht der Überforderung
Die Künstler haben sich im Schaffensprozess auch diesem Selbstversuch ausgesetzt und durch das Prisma ihrer Kunst eine Darstellung der Lage der Welt versucht. Ihre Gliederung des Stoffs in "Zwölf digitale Gesänge" haben relevante Headlines, wie "Heidegger Myself", "Ich Fiktion", "Eugenik My Love" oder "Protect Me From What I Want". Ihnen zugeordnet sind klug gesampelte Texte von DenkerInnen und Dichtern.
Doch ist dieses Hörspiel nur ein möglicher Versuch unter vielen, eine Schneise ins Dickicht der Überforderung zu schlagen. Wir könnten einen eigenen unternehmen. Auch das macht dieses Stück deutlich.
Denn Wittmann und zeitblom sind keine Welterklärer. Sie sind unsere Zeitgenossen. Und sitzen mit uns im selben Boot.
Hörspielausschnitt