Hörspiel - Ursendung

"Tell me something good, Stockhausen!“

Portraits von/of Christian Wittmann & Georg Zeitblom aka wittmann/zeitblom Berlin Wedding, September 2018
Christian Wittmann & Georg Zeitblom © Martin Walz
Digtale Gesänge von wittmann/zeitblom · 11.04.2020
The Story goes like this: 1956 versuchte Stockhausen im "Gesang der Jünglinge" Dystopie und Utopie zu vereinen. Eine der vielen Legenden um dieses Kunstwerk könnte lauten, dass der Komponist aus der Schwärze seiner eigenen Kindheit und den Flammen des Holocaust einen Lobgesang auf den Herrn erschaffen wollte und dazu die Unschuld des Knabengesangs mit elektronischer Musik verschmolz.
Doch, so betonte der Schöpfer des Kunstwerks selbst, ging es beim "Gesang der Jünglinge [aus dem Feuerofen]" nicht um den Inhalt, sondern um das rituelle Moment der Sprache. Sein selbst proklamiertes Ziel war, mit einer 5-Kanal-Klang-Maschine die damaligen Mono-Hörgewohnheiten signifikant zu erweitern - und was könnte sich besser dazu eignen, als seine Installation im Kölner Dom zu Ehren Gottes erklingen zu lassen. Visionär, provokant, kalkuliert, wie dem auch sei. Das Werk wurde seitens der Kirchengemeinde als zu denaturiert abgelehnt.
Auch diese Erfahrung dürfte Stockhausen 1971 zu einer seiner klügsten Thesen geführt haben: "Change the method! - New methods change the experience. New experiences change man." Ein halbes Jahrhundert nach seiner legendären Lecture "Four Criteria of Electronic Music" verändern das Hörspielduo "wittmann | zeitblom" ihre Methodik und treiben inspiriert vom "echten Leben" auf einem Strom der hyperrealen Klangsynthese im binauralen 3D-Hörraum. Geht es beim "Gesang der Jünglinge" noch um die Vermischung von Mensch und analoger Technik, wird in ihren dreidimensional-angelegten, rein digitalen Gesängen die Maschine zur Solistin. Alles Organische ist in ihr aufgegangen. Planvoll denaturiert, entmännlicht, entweiblicht, divers. Ein neues Wesen, "Enhance", steuert uns durch Beobachtungen aus unserem schizophrenen, medialen, postfaktischen, von disruptiven Technologien und Denkschablonen geprägten Alltag und propagiert die Notwenigkeit des Datazentrismus. "Weißt du, wer da spricht?" - Never mind!
The Story goes like this: 50 Minuten Human Voice Machine mit mikrorhythmischen Sprachsamples, generiert aus Texten von Nick Bostrum, Rosa Luxemburg, Yuval Noah Harari, einem AI-Poem-Generator, Julius Sturm, Robert Barry u.a.. Smart systems, smart love, smart life, smart dust. Just do it.

"Tell me something good, Stockhausen!"
Digtale Gesänge von wittmann/zeitblom
Binaural- und Stereoexperience
Idee, Regie und Komposition: wittmann | zeitblom

Mit Alice Dwyer, Sabin Tambrea, PURE Vox Machine, Christian Wittmann, Mika Bajinski und Sinclair Zedecks
Produktion: NDR/Dlf/BR 2020