Der Hörspielkomponist Martin Schütz

Komposition ist Inspiration und Improvisation

10:38 Minuten
Der Hörspielkomponist Martin Schütz
Der Hörspielkomponist Martin Schütz © Deutschlandradio/Peter Samuel Jaggi
Von Nora Bauer · 01.09.2020
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Was ist eigentlich der Unterschied zwischen improvisierter und komponierter Musik? Wie geht der Weg von der Inspiration zum hörbaren Klang? Der Schweizer Cellist und Komponist Martin Schütz über seine Arbeit und das Zusammenspiel der Musik mit dem Duktus und Rhythmus von Sprache.
Ausschnitt "Von den Beinen zu kurz"
Musik von Martin Schütz aus dem Hörspiel "Von den Beinen zu kurz". 2014 vom WDR produziert. Eine Geschichte von Katja Brunner über Vater, Mutter, Kind, Leidenschaft, Eifersucht, Missbrauch.
Martin Schütz: "So mit vierzehn hatte ich das Gefühl, ich weiß nicht mehr warum, aber auf alle Fälle war ich sehr interessiert an Tontechnik und hab dann so einen Sommer-Job gemacht, um Geld zu verdienen, damit ich mir ein Tonbandgerät leisten konnte, ein Spulen-Tonbandgerät noch, und hab dann im Estrich ein ganz Miniaturstudio eingerichtet. Und dann habe ich angefangen, so kleine Hörspiele zu machen."
Mit Geräuschen. Und selbstverfassten kleinen Szenen.
Martin Schütz: "Dann habe ich aber schon experimentiert, in dem ich zum Beispiel eine Szene im Badezimmer aufgenommen habe, weil es da so schön gehallt hat, und dann habe ich angefangen so Experimente zu machen mit Loops, in dem ich das Tonband aus der Maschine rausgeführt habe und um die Türfalle rum und wieder zurück in die Bandmaschine. Allerdings war der Nachteil, ich konnte es ja dann nicht aufzeichnen, weil ich hatte kein zweites Aufzeichnungsgerät. Auf alle Fälle ist da in mir die Lust am Kreieren, an der Verbindung von Ton und Sprache gewachsen."
Man hätte das Ergebnis solcher Loopings zu gern gehört!
Ausschnitt
Martin Schütz: "Ich kannte eigentlich Hörspiel schon ein bisschen vom Radio. Eins, dass ich immer gehört habe, war 'Dickie Dick Dickens', das war so 'ne amerikanische, komödiantische Detektiv-Geschichte, und inspiriert von dem, habe ich dann angefangen so Sachen zu machen. Versucht, wie kann ich Schritte mit dem Schuh-Ausziehen und auf dem Tisch gehen, mit dem einen Schuh, und das aufnehmen, damit die Schritte da waren, während aber gleichzeitig ich auch gesprochen habe. Das musste alles live passieren, weil, ich hatte kein Multi-Track-System."
Gleichzeitig erhielt Martin Schütz schon als Schüler Cello-Unterricht.
Martin Schütz: "Mit der Zeit hatte ich auch ziemlich Lust zu üben, ich kann mich erinnern an Momente, wo ich dachte, dieses Stück will ich endlich auswendig spielen können und dass ich dann im Zimmer das Licht ausgemacht habe, und im Dunkeln das gespielt habe, und das fand ich dann ganz toll."
Ausschnitt "Eine Schneise"
Musik aus dem Hörspiel 'Eine Schneise' von Händl Klaus. Eine Geschichte über das Unaussprechliche und Undurchdringliche der inneren Strukturen einer Familie. Eine Spur der Zerstörung zieht sich durch den ganzen Text. Der WDR hat das Stück in der Regie von Erik Altorfer 2013 produziert.
Martin Schütz: "Ich bin ja hauptsächlich improvisierender Musiker. Ich bin Improvisator und Komponist. Und die zwei scheinbaren Gegensätze, die sind aber sehr nah bei einander. Also, wenn ich frei improvisiere, ist das auch ein Kompositionsvorgang. Und wenn ich komponiere, dann ist da ganz viel Improvisation drin. Also auch wenn man jetzt Beethoven oder so jemanden analysiert und Skizzen schaut, wie ist er zu diesem Ding gekommen, das ist ein Prozess, wo er verschiedenes probiert hat."
Ausschnitt
Martin Schütz: "Es ist ein langer Prozess, oder die ersten Tage sind manchmal zum verzweifeln, weil irgendwas passiert im Kopf, oder in einem drin. Man glaubt etwas zu hören, aber man hat noch keine Ahnung, wie man das konkret umsetzen könnte. Und dann mache ich lange Spaziergänge. Und irgendwann gibt’s dann diesen Moment, wo was herausbricht. Ich glaube, das wichtigste ist, den richtigen Ton zu treffen. Den Ton zu finden oder den Sound, oder die Gesten."
Martin Schütz studierte nach dem Abitur Cello. Aber dieses Instrument reichte ihm irgendwann nicht mehr.
Ausschnitt "Im bewohnten Gebiet der Schädelhöhle"
Martin Schütz: "In der Ausbildung als klassischer Cellist, da habe ich viel Kammermusik gespielt, bin dann auch im Sinfonie-Orchester gewesen und hatte aber immer das Gefühl, ich bin da nicht ganz zuhause. Weil, gleichzeitig habe ich natürlich so Sachen gehört wie Jimmy Hendrix zum Beispiel, und ich konnte mir das aber nicht vorstellen, dass man das mit dem Cello zusammenbringt."
Dann folgte ein Stipendium in New York und damit begann sein ganz großes Abenteuer der Improvisation. Zunächst aber erfand er sein Instrument. Autodidaktisch hatte er Bass spielen gelernt.
Martin Schütz: "Da dachte ich, es wäre eigentlich gut, ein Instrument zu haben, das Kontrabass und Cello zusammenbringt. Dann habe ich mit einem Geigenbauer, den ich kannte, drüber geredet und dann hat der gesagt, das klingt interessant, sollen wir das probieren, und dann haben wir innerhalb von einem Jahr dieses Instrument gebaut, dieses fünfsaitige elektrische Cello."
Ausschnitt "Im bewohnten Gebiet der Schädelhöhle"
Am Tag der Abreise nach New York war das Instrument fertig. Es wurde in eine Wolldecke gewickelt, denn einen Koffer dafür gab es nicht, und erhielt einen eigenen Sitzplatz im Flugzeug. In New York angekommen, besuchte er Musik-Clubs um Musiker kennenzulernen, mit denen er spielen konnte.
Martin Schütz: "Ich hab mal gespielt mit schwarzen Musikern und der Schlagzeuger war Rashid Ali, der saß hinter seinem Schlagzeug und hat mich keines Blickes gewürdigt und ich hab neben ihm aufgebaut, Verstärker und das Instrument und dann habe ich ein paar Töne von mir gegeben für den Sound, und ohne sich umzudrehen hat er gesagt: "What you call that thing?" Und dann habe ich gesagt: "Electric five-string cello!" Und dann hat er gesagt:" sounds good!" Und dann… haben wir irgendwie angefangen zusammen zu spielen und während dem Spielen hat er sich irgendwann umgedreht und mich angegrinst und genickt und dann wussten wir, dieses Konzert wird gut."
Bis heute verbinden ihn enge Freundschaften mit den New Yorker Musikern, die ihn auch in der Schweiz besuchen um Musik zu machen.
Ausschnitt "Im bewohnten Gebiet der Schädelhöhle"
Musik zum Hörspiel 'Im bewohnten Gebiet der Schädelhöhle' in der Regie von Erik Altorfer, produziert vom Schweizer Radio 2015. Gerhard Meister geht in seinem Text der Frage nach ob das Bewusstsein seinen Sitz im Hirn hat, oder anderswo? Wo wohnt das Ich? Auch mit dem Regisseur Erik Altorfer verbindet Martin Schütz eine enge Beziehung. Durch ihn hat er das Hörspiel und die Sprache als emotionalen Impulsgeber für die Komposition wieder für sich entdeckt.
Martin Schütz: "Er ist sehr analytisch und genau und ich bin eher der Chaot; die beiden zusammen, das funktioniert sehr gut."
Ausschnitt "Die Toten haben zu tun"
Martin Schütz: "Das erste Lesen ist für mich etwas ganz Wichtiges, oder fast schon etwas Heiliges. Weil ich da die Ruhe und den Raum brauche, wo ich ungestört lesen kann und mich auf einen Text einlassen. Und wo in mir drin schon mal etwas anfängt zu passieren. Etwas, was ich aber in dem Moment noch gar nicht beschreiben kann. Ein geschriebener Text hat ja auch einen Tonfall. Einen Rhythmus. Und das hat einen großen Einfluss auf was dann zum Schluss musikalisch dabei herauskommt."
Ausschnitt "Die Toten haben zu tun"
Das Hörspiel 'Die Toten haben zu tun' verhandelt die ungleiche Beziehung zwischen Menschen zuhause und Menschen auf der Flucht, die immer bestimmt ist von Orientierungslosigkeit und Abhängigkeit. In der Regie von Erik Altorfer produzierte der Deutschlandfunk 2020 das Hörspiel, das von der Akademie der Künste im April zum 'Hörspiel des Monats' gewählt wurde.
Martin Schütz: "Wichtig ist wirklich in diesen Zustand kommen, dass ich nicht hyperaktiv irgendwas mache, sondern ich muss warten, bis das aus mir herauskommt. Und das ist eben, was ich vorhin gesagt habe, wie ein Wunder, etwas bricht aus dir heraus und du fängst an, das zu machen, vielleicht dauert das drei Tage, bis diese eine kurze Musik da ist, und dann fängst du die an zu kombinieren mit dem Text konkret irgendwann denke ich, oh! Ich glaube, das stimmt."
Ausschnitt "Die Toten haben zu tun"