Das Feature

Kastraten

Volker Sellmann · 09.08.2002
Er war kaum erwachsen, da nannte man ihn bereits "Engel von Rom", und der Papst machte ihn zum ersten Solisten seiner Kapelle. Jahre später erhielt er vom Heiligen Vater höchstpersönlich die Erlaubnis, seine gefeierte Stimme auf eine jener neumodischen Wachswalzen bannen zu lassen. Und so können wir uns noch heute einen Eindruck verschaffen vom Gesang des letzten Kastraten Alessandro Moreschi, der immerhin bis 1922 lebte.
Über dreihundert Jahre währte in Europa die große Zeit der Kastraten. Man betete sie an, erhob sie in hysterischer Hingabe in den Olymp der Bewunderung. Monarchen legten ihnen Reichtümer und Paläste zu Füßen. Komponisten wie Händel und Mozart stellten sie ins Zentrum großer Opern. Nicht nur durch den betörenden Klang ihrer Stimmen avancierten sie bald zu wahren Sexsymbolen: glaubt man den Quellen, so verfielen ihnen angesehenste Personen beiderlei Geschlechts in hemmungsloser Leidenschaft.