Das Feature

Jahr ohne Frühling

Ines Geipel und Joachim Walther · 20.06.2003
Am 17. Juni sitzt die 24-jährige Dichterin Edeltraut Eckert als Nummer 3911 bereits seit drei Jahren im Zuchthaus Waldheim - von einem sowjetischen Militärtribunal wegen Flugblatt-Transportes zu 25 Jahren Haft verurteilt. Über Lautsprecher und durch Rufe von Passanten hören die Gefangenen vom Aufstand. Sie schwanken zwischen Auflehnung und Furcht, Resignation und Hoffnung. Die Haft-Gedichte von Edeltraut Eckert und ihre "Monatsbriefe" an die Eltern halten die Situation fest. Noch im März 1953 äußert sie die Hoffnung, "dass es so lange nicht mehr dauern möge". Im September schreibt sie dagegen: "Es herbstet, der Winter wird kommen. Ich habe mir abgewöhnt zu fragen: wieviele noch?"
Sie weiß inzwischen, dass auch ihr Schwager verurteilt wurde und im Zuchthaus Brandenburg einsitzt. Der Augenarzt Fritz Hirschfeld, selbst politischer Häftling, hat Kassiber zwischen Waldheim und Brandenburg organisiert. Wie die Verhaftungen eine Familie zerreißen - Edeltraut Eckert stirbt zwei Jahre später nach einem Arbeitsunfall im Haftkrankenhaus, ihr Schwager geht in den Westen - dokumentiert das Feature über die stalinistische Frühzeit der DDR, die durchaus kein, wie Ostalgiker heute behaupten, "guter Anfang" gewesen ist.