Das Feature

Das Gespräch im Gebirg

Von Axel Gellhaus · 30.07.2004
In seiner Büchner-Preis-Rede erwähnte Paul Celan 1960 eine kleine Geschichte, die er "vor einem Jahr, in Erinnerung an eine versäumte Begegnung im Engadin", zu Papier gebracht habe. Gemeint ist "Gespräch im Gebirg". Und die Begegnung hätte am 22. Juli 1959 zwischen Celan und Theodor W. Adorno in der Gegend stattfinden sollen, wo Nietzsche bei der Niederschrift seines "Zarathustra" das Wort Übermensch "vom Wege auflas", in Sils Maria. Aber Adorno kam nicht.
Worum hätte es gehen sollen? Natürlich um Adornos berühmtes Verdikt von 1949, das 1955 durch die Publikation in den "Prismen" erst richtig bekannt geworden war: "Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frisst auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben." Darauf antwortet Celans Geschichte indirekt, indem sie das Recht des Einzelnen behauptet, sein Leiden Wort werden zu lassen. Dichtung habe, so entwickelt Celan seine Position, den Weg der Kunst zu gehen, und mit jedem neuen Gedicht und jeder neuen Erzählung werde die Fortsetzbarkeit der Kunst neu verhandelt.