Christoph Spittler im DREIERPACK

Akustische Alltagsethnologie

Christoph Spittler
Der Feature-Autor Christoph Spittler © Deutschlandradio/Christoph Spittler
Von Klaus Pilger · 01.10.2021
"Ethnologe sein ist eine Weltanschauung - im Wortsinn", sagt Christoph Spittler. Die Zeit, die er als Ethnologiestudent in entfernten Weltgegenden verbrachte, hat ihn von Grund auf geprägt. "Es ist ein Blick. Wenn man einmal damit anfängt, Fremdheit zu sehen, sieht man sie überall."
"Ethnologe sein ist eine Weltanschauung - im Wortsinn", sagt Christoph Spittler. Die Zeit, die er als Ethnologiestudent in entfernten Weltgegenden verbrachte, hat ihn von Grund auf geprägt. "Es ist ein Blick. Wenn man einmal damit anfängt, Fremdheit zu sehen, sieht man sie überall."
Wenn Spittler hierzulande als Feature-Autor unterwegs ist, legt er den ethnologischen Blick nicht ab. Manta-Fahrer, Pickup-Artists oder Sexclubbesucherinnen repräsentieren für ihn genauso fremde Kulturen wie die Bevölkerung eines indischen Mittelklassesuburbs. Deshalb ist ihm der Duktus des wissenden, einordnenden, wertenden Kommentators fremd. Es geht ihm darum, den Flow der Welt nachzufühlen, überall und überraschend das Fremde im Eigenen zu entdecken - und zu staunen.
Spittler, 1969 in der niedersächsischen Provinz geboren, landete schon während des Studiums mit Interview- und Musikaufnahmen aus seinen Feldstudien beim Radio. Daraus wurde eine lang anhaltende Liebe. "Die rein akustische Form ermöglicht eigentlich ein intensiveres Eintauchen in die Materie als der Dokumentarfilm, der ja irgendwie immer in seinem Rechteck bleibt", findet er.
Aber Christoph Spittler verschwindet in seinen Arbeiten nicht. Sichtbar wird der Autor, wenn er ungewöhnliche perspektivische Schneisen schlägt, wenn er ganz unterschiedliche Phänomene zueinander in Beziehung setzt. Er hat die hybride Form des dokumentarischen Hörspiels für sich entdeckt: zu den realen Protagonistinnen und Protagonisten seiner Features schleichen sich oft erdichtete Stimmen hinzu. Manchmal lässt er seine O-Ton-Geberinnen und -Geber sogar zusätzlich geskriptete Rollen spielen. Und er selbst spricht nicht mit auktorialer Autorenstimme: sondern als Kommentarspalten-Chor, als bierselige Stammtischrunde, als Michael Jackson oder sogar als Gott persönlich.
Klingt fast nach Fake, ist aber eine künstlerische Technik: Dadurch bringt er sich selbst, in vielstimmig dramatisierter Form, aufgespalten in verspielt-spekulative Perspektiven, in seine Stücke ein.
Christoph Spittler befasst sich immer wieder mit den Verwerfungen der Konsumwelt. Aber er bleibt nie bei der Klage über die grauen Verdummungstendenzen einer öden Shoppingmall-Kultur stehen. Denn es ist immer anders als es scheint, und auch im tristen vorstädtischen Industriegebiet sind glitzernde Merkwürdigkeiten zu entdecken. Die rätselhafte Fremdheit des Wohlbekannten.
Dreimal Freistil:
"Panzerfahren für Papi – das Geschäft mit den Erlebnisgeschenken" (2015) untersucht den Endpunkt der kapitalistischen Kommodifizierung: was passiert, wenn das Leben selbst, in Form standardisierter "Erlebnispakete", an der Supermarktkasse verkauft wird, und was ist das für ein Leben, das da zur Ware gemacht wird? (Sendetermin: 10.10.21)
"Schönsprech – die Inflation der angenehmen Stimmen" (2012) beschreibt die sprachakustische Gehirnwäsche, der wir durch die Omnipräsenz lackierter Schauspielstimmen in Werbung und Popkultur ausgesetzt sind. Wie entsteht die standardisierte "Schönheit" der Stimmen, und was macht sie mit uns? (Sendetermin: 17.10.21)
"Speck – Geschichten aus dem Gürtel" (2014) ist ein wilder Trip durch die sich ausbreitenden Wüsten vorstädtischer Hässlichkeit. Zwischen Musterhausparks, Einfamilienhaussiedlungen, Rasenmäher-Robotern und Gewerbegebieten stößt Spittler dabei auf durchaus skurrile Gestalten. (Sendetermin: 24.10.21)