Berlin-Schöneweide

Nazifrei durch Stadtentwicklung

An einem Gebäude hängt ein Poster mit der Aufschrift "Berlin gegen Nazis"
Protest gegen Nazis in Berlin. © John MacDougall / AFP / Getty Images
Von Ursula Rütten · 07.07.2015
Schöneweide im Berliner Südosten: Einst Deutschlands stolze "Elektropolis", eines des größten städtischen Industriegebiete Europas. Nach der Wende gingen zehntausende Arbeitsplätze verloren - und ein berüchtigtes braunes Biotop entstand. Bis die rechtsextremen Platzhirsche vertrieben wurden. Durch einen gemeinsamen Kraftakt von Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik.
Schöneweide - Schweineöde. Es wurde nicht lange drumherum geredet und beim Namen genannt, was die betroffenen Menschen empörte in diesem Stadtteil im Berliner Südosten, Bezirk Treptow-Köpenick. Bald nach der Wende und in den Folgejahren.
Schweineöde, das war die gefühlte Öde im Kopf der Menschen, die dort, an diesem einstigen Pionierstandort der Elektroindustrie, namentlich in Oberschöneweide, jahrzehntelang ein gutes Auskommen, gutes Wohnen und gutes Ansehen hatten. Seit der AEG-Gründer Emil Rathenau 1897 auf einem Gelände von gut 100.000 Quadratmetern entlang der Oberspree das weltweit erste Drehstromkraftwerk in Betrieb nahm, zur öffentlichen Elektrizitätsversorgung. Und Berlins Aufstieg zur "Elektropolis" begann.
Die Öde nach dem Aus für die AEG, für die großen Volkseigenen Betriebe der DDR: Die Kabelwerke Oberspree, KWO, das Transformatorenwerk Oberspree, TRO, das Werk für Fernsehelektronik, zum Beispiel. Oder auch die Bärenquellbrauerei in Niederschöneweide. Rund 30.000 Arbeitsplätze gingen verloren. Das Ende einer Traditionslinie für Generationen. Obendrein die Abwicklung des staatlichen Rahmens, der DDR. Zwei existenziell wichtige Gründe für den Verlust von Sicherheit und Selbstwertgefühl. Für Ängste um die Zukunft. Tausende wanderten ab, in den Westen. Tausende Daheimgebliebene führten ein Leben von der Stütze und mit zu viel Alkohol.
Freiraum für Nazis
Die HTW gilt noch immer als der Leuchtturm für diesen Stadtteil, seit es der Bezirk 2006 geschafft hat, die auf mehrere Stadtteile verteilte Hochschule für Technik und Wirtschaft für den Standort Oberschöneweide zu gewinnen. Tatsächlich aber sind die inzwischen rund 6.000 jungen Studierenden im alltäglichen Leben außerhalb des Campus in der Wilhelminenhofstraße kaum sichtbar, geschweige denn, dass sie das Lebensgefühl in diesem Stadtteil beeinflussen. Wohnen sie doch nach wie vor überwiegend eher in Szenevierteln wie Kreuzberg, Friedrichshain oder Neukölln. Und somit konnten sich in dieser urbanen Lücke in Schöneweide - zehn, fünfzehn Jahre nach der Wende, mit diesem schwachen sozialen Gefüge - recht bald und lange unbehelligt Freiräume zum Ausleben antidemokratischer, rechtsextremer Gesinnung diverser Kiez-Kameradschaften, autonomer Nationalisten und von NPD-Mitgliedern etablieren.
Die Reinbeck-Hallen am Stadtplatz.
Die Reinbeck-Hallen am Stadtplatz. © Ursula Rütten
Etwa die "Braune Straße": So tituliert in einem Ende November 2011 veröffentlichten Dossier der Antifa-Berlin. Seither wurde sie allgemein so genannt: die Brückenstraße in Niederschöneweide. Eine nur wenige hundert Meter lange, unscheinbare Wohnstraße zwischen S-Bahnhof und Spree. Indes Synonym für eine sich bis über die Treskowbrücke nach Oberschöneweide ausdehnende Demarkationslinie für einen fast zwei Jahrzehnte geführten Raumkampf. Ein Kampf insbesondere lokaler rechtsextremer Gruppierungen um Einwirkung auf das soziale Leben, vermehrt mit jugend- und sozialpolitischen Aktivitäten anstatt bloßer neonazistischer Propaganda. Beratung für Hartz IV-Empfänger, zum Beispiel. Ein Kampf um kulturelle Hegemonie über diesen öffentlichen Raum. Ein Kampf, der Angsträume erzeugen und die eigenen Reihen durch neue Anhänger stärken sollte.
Die Politik reagierte
Fast zeitgleich reagierte die Politik auf diese Entwicklung. Berlinweit mit einem Landesprogramm gegen Rechtsextremismus. Aus Mitteln des Senats für Integration, Arbeit und Soziales wird seit 2002 die "Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus", MBR, als erste Anlaufstelle gefördert. In Treptow-Köpenick beschloss 2003 die Bezirksverordnetenversammlung einstimmig die Gründung des Zentrums für Demokratie. Die Einrichtung in Schöneweide wird seither gefördert durch das Bezirksamt und das Bundesfamilienministerium aus Mitteln des Bundesprogramms "Vielfalt tut gut". Es sollte nicht dabei bleiben - und die Anstrengungen zeitigten Erfolge.
Hier das vollständige Manuskript der Sendung zum Nachlesen:
Produktion: DLF 2015
Redaktion: Herman Theißen